Es gibt Erfahrungen im Leben, die sind so schrecklich, so furchtbar, dass sie uns aus der Bahn werfen und ein Leben lang beeinflussen. Wir nennen das heute Trauma und erkennen erst jetzt, was das alles umfängt und umfasst und wie viel von dem, worunter wir leiden, im Kern aus einer traumatischen Erfahrung entstanden ist. Und zu den Symptomen kann im Grunde alles gezählt werden, was wir uns ausdenken können und was wir vielleicht auch selber erleben. Zum Glück gibt es heute genügend Verfahren und Techniken, die Menschen mit einem Trauma helfen können - und es werden fast monatlich mehr.


Des Guten zuviel 

Aber dann gibt es noch diese andere Erfahrung, die man in keinem Lehrbuch der Psychologie, in keinem Fortbildungsverzeichnis für Psychotherapeuten noch für Seelsorger lesen kann. Es ist im Kern auch kein Leiden im herkömmlichen Sinne, es ist eher eine Überforderung, ein Zuviel des Guten. Es ist im Kern das Gegenteil von einem Trauma - neuerdings wird es deshalb auch positives Trauma genannt. Dahinter verbergen sich Erfahrungen, die im Kern absolut gut sind, aber zu viel auf einmal erfahren werden. Und das erleben Menschen zum Beispiel, wenn sie tiefe spirituelle Erfahrungen machen, für die sie noch gar nicht reif sind oder noch gar nicht richtig vorbereitet wurden. Man stellt sich das vielleicht gerne so ganz schön vor, wie Jesus auf einen zukommt oder Gott oder wer auch immer und man diese Liebe fühlt, die man sich so sehnsüchtig wünscht. Doch wenn der Wunsch in Erfüllung geht, dann kann es sein, dass es einen überfordert, dass es zu viel für unser Nervensystem ist, dass wir mit der Fülle des Guten und der Liebe gar nicht umgehen können. Wir können das alles gar nicht verarbeiten, was uns da begegnet. Denn die Gottesbegegnung ist ja immer auch ein energetisches Ereignis. Das heißt, es bringt unser Nervensystem in Erregung und das kann nur eine gewisse Kapazität verkraften, erst recht, wenn man plötzlich davon überrascht wird und nicht vorbereitet ist. Die Energie Gottes ist natürlich eine starke und daher ist Gott in dieser Hinsicht für uns alle im Grunde eine Überforderung. Wir können das gar nicht mit unserem kleinen Körper und unserem begrenzten Fassungsvermögen und unserem schlecht ausgerichteten Nervensystem aufnehmen und verarbeiten. Ähnliches erleben auch Menschen mit Nahtoderfahrungen, die so stark von diesen erlebten Bildern des Lichtes, der Liebe und der Bedingungslosigkeit heimgesucht worden sind, dass sie nur schwer hier in dieser Welt noch leben können. Viele alte spirituelle Traditionen haben sich um solche Erfahrungen bemüht und versucht Wege zu entwickeln, wie man damit umgehen kann und sich darauf vorbereitet.


Neues Bewusstsein

Während sie noch darüber redeten,
trat er selbst in ihre Mitte
und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
Sie erschraken und hatten große Angst,
denn sie meinten, einen Geist zu sehen.
Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt?
Warum lasst ihr in eurem Herzen Zweifel aufkommen?
(Lk 24, 36-38)


So steht es in einem der Osterevangelien. Und ich frage mich: Wie sollte man denn nicht bestürzt sein, wie sollte man keine Angst bekommen, wie sollte man nicht innerlich entzweit sein, wenn einem ein Toter plötzlich begegnet? Es wirkt fast ein wenig so, als hätte Jesus wenig Mitgefühl und Verständnis mit seinen Jüngern. Ja, diese Männer und Frauen, sie haben zunächst dieses Trauma des Foltermordes erlebt, haben ihre Hoffnungen begraben, sahen ihre Felle wegschwimmen. Sie hatten offensichtlich auf das falsche Pferd gesetzt, sahen sich schon wieder zurückgehen und demütig eingestehen müssen, dem Falschen nachgelaufen zu sein. Zurück an den Pflug und auf das Boot, zurück an die Netze und den üblichen Alltag. "Da sind sie wieder," werden sie vielleicht zu hören bekommen "diejenigen, die diesem Jesus nachliefen und der doch nur ein Schurke ist, der nicht sein Wort gehalten hat, der jetzt tot ist". Darauf mussten sie sich gefasst machen. Vor allem der Tod Jesu und die Umstände waren für sie ein Trauma und konnte ja gar nicht anders gewesen sein.
Und dann jetzt, im Grunde wenige Stunden später, diese neue Erfahrung - noch erschöpft - Trauma kostet viel Kraft - noch erschöpft von den Erfahrungen der letzten Stunden, in Angst vor dem, was noch kommen wird. Dann diese Erfahrung, dieses Unglaubliche, dieses alles umstürzende Ereignis. Wie immer diese Begegnung stattgefunden hat - wir hören hier natürlich eine sehr bildliche und plastische Darstellung, es war eine Erfahrung, die die Jünger überfordert hat - jeden von uns würde sie überfordern. Es ist zu viel für ihr Fassungsvermögen, die Grundfesten ihrer Überzeugungen werden angegriffen und das mitten in einer Situation, die ohnehin schon schwer ist. Sie werden aus ihrer Umlaufbahn geschleudert, werden eingetaucht in eine neue Dimension des Daseins - heute würde man sagen, sie werden im Bruchteil einer Sekunde in ein neues Bewusstsein geworfen, wofür andere Jahre auf dem Meditationshocker brauchen. Im Tiefsten ist der Weg der Jünger - und die Kar- und Ostertage sind nicht nur der Weg Jesu, sie sind auch der Weg der Jünger. Also im Tiefsten ist es eine Art Einweihung, die sie durchlaufen und die zu Pfingsten endet und zu ihrem Durchbruch findet. Sie tauchen hinab in die Tiefen des Lebens, kommen in Fühlung mit Angst und Tod, werden dann an diesem tiefsten Punkt mit dem Licht, dem österlichen Licht, konfrontiert - und dazu gehört auch die Überforderung, dazu gehört auch die radikale Begegnung, um dadurch in einen Prozess einzusteigen, der sie dazu befähigen wird die Türen zu öffnen und zu verkünden, was sie erlebt und erfahren haben. Es geht gut aus - zumindest wenn wir das betrachten, was wir wissen und lesen können. Aber wer solche Erfahrungen kennt, wird vielleicht wissen, dass immer Spuren bleiben, dass die Erfahrung von Ostern - nicht nur von Karfreitag - Narben hinterlassen kann, dass die Gotteserfahrung Nebenwirkungen haben kann.


Vorbereitung auf die große Erfahrung 

Nun sind solche Erfahrungen in unseren Zeiten und unserem Kulturkreis offensichtlich seltener geworden. Die Sehnsucht ist groß, nach der ursprünglichen Erfahrung, der eigenen Erfahrungen. Kaum noch jemand gibt sich zufrieden damit, von den Erfahrungen anderer zu zehren. Man will es selbst erleben und nicht nur davon lesen oder erzählt bekommen. Und das ist mehr als verständlich. Aber vielleicht machen wir auch so selten diese österlichen Erfahrungen, weil wir noch viel weniger vorbereitet sind, weil wir überhaupt nicht mehr die Sinne dafür entwickelt haben, weil es Gott einfach nicht gelingen will, uns zu erreichen? Die Schulung unseres inneren Sinnes, der uns erst ermöglicht, Gotteserfahrung zu machen, braucht Zeit und Begleitung. Und genau dafür ist ja im Kern eine Kirche da, ein solches Wissen, wie man diesen Gottessinn in uns ausbildet, über die Generationen hinweg zu sammeln, eine solche Schulung zu fördern und weiterzugeben.
Und wenn es etwas Kleines gibt, was jeder und jede jetzt tun kann, dann ist es dies: In die Gelassenheit zu finden und das heißt, den Druck aus dem Leben zu nehmen, die Verzweckungen, die vielen Ziele, die wir haben, die Anpassungen, die wir vornehmen müssen, die vielen Ansichten, die wir haben, die Grenzen, die wir setzen wollen, unbedingt. Wenn ich stattdessen in die Gelassenheit komme, dann öffnet sich etwas in mir und meinem Leben, dann sinkt der Blutdruck, dann atmen wir auf, es entsteht vielleicht ein Lächeln auf meinen Lippen, dann verschwindet der innere Druck und es entsteht ein Raum, in dessen Mitte das Göttliche sich zeigen kann - in dem Christus selber Einzug hält, als präsente Gegenwart in meinem Leben.

David Damberg


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