Es ist wieder soweit, endlich, du darfst wieder fasten. Hast du schon die Schokolade versteckt - hinter den Büchern im Regal? Ist die Gummibärchentüte schon leer oder verschenkt?
Wirklich fasten?
Und wie sieht es mit der Flasche Wein aus, die immer noch im Kühlschrank steht - schnell heute noch trinken oder sie in den Keller bringen und unter den ganzen Einkaufstüten verstecken - dort wirst du sie nie finden, glaub mir.
Und dann das Fernsehen: Stecker raus und Tischtuch drüber, Netflix-Account gekündigt, ZDF und ARD auf Wiedersehen sagen und dann ab morgen nur noch Wasser und Brot und vielleicht mal einen einsamen Apfel mit Stoßstellen.
Aber ich vermute, so sieht es bei dir nicht aus und ein solches Programm wirst du dir nicht auferlegen - ich mir übrigens auch nicht.
Und doch stellt sich jedes Jahr diese Frage: Wir singen von Buße und Umkehr und was machen wir jetzt daraus? Was heißt denn Fasten? Geht es darum, dass wir es uns schwer machen, dass wir uns künstlich eine Art Leiden zufügen?
Gewiss nicht und doch sind uns die kommenden Tage aufgegeben und wir nehmen diesen Auftrag offensichtlich an, sonst säßen wir nicht hier, sonst würden wir uns nicht Asche auf die Stirn schreiben lassen.
Einladung an dich!
Die 40 Tage der Fastenzeit sind zu verstehen wie Exerzitien, wie eine Zeit intensiver geistlicher Einkehr. Es ist eine Einladung und nicht so sehr eine Pflicht, oder ein Joch, das uns auferlegt worden ist.
Und vielleicht können wir die Fastenzeit, so seltsam das klingen mag, auch ganz ohne Fasten verstehen, ganz ohne den Aspekt des Verzichtes. Denn es ist ja kein Geheimnis, wo ich Verzicht predige, das schleicht sich das Haben-Wollen, da schleicht sich letztlich die Gier erst recht von hinten ins Haus. Wer in der Fastenzeit auf Süßigkeiten verzichten will, die er oder sie so gerne isst, der wird vermutlich überall nur noch Süßigkeiten vorfinden. So ist das mit dem Verzicht und der Konzentration auf das, was ich nicht haben will und kann. Es wird dadurch letztlich stärker.
Dann machen wir es doch umgekehrt!
Hör auf zu fasten!
Hole die Schokolade wieder hinter den Büchern zurück, frage, ob du die Gummibärchen wiederbekommen kannst, rauf mit der Flasche Wein, freue dich auf einen schönen Filmabend und kaufe dir ein schönes Essen und einen leckeren knackigen Apfel.
Und nun lass uns nicht fragen, was wir weglassen werden, sondern was wir hinzunehmen in unseren Alltag - und vielleicht, könnte ja sein, vielleicht ergibt sich dadurch, ohne dass wir es wollen, dass wir damit beginnen, tatsächlich etwas in unserem Alltag wegzulassen, dass wir beginnen zu fasten, ohne dass wir es merken, allein dadurch, dass wir beginnen eine neue Qualität in unser Leben einzuladen, die uns vielleicht mehr nährt, mehr sättigt, mehr inspiriert als das, was ich mir sonst so zuführe. Könnte ja sein…
Aber welche besondere Qualität könnte ich in den nächsten Tagen und Wochen in mein Leben einladen und pflegen? Es sollte eine Qualität sein, die mit Gott in Verbindung steht und uns mit dem Göttlichen in einen tiefen Kontakt bringt. Es sollte konkret und praktisch sein und möglichst wenig Arbeit machen, wir wissen ja, wo das endet, wenn es zu anstrengend wird. Und doch braucht es eine Qualität, die wirklich verändert und wandelt.
Wir brauchen eine Übung, die unser Herz weich macht, sanft, offen und …
… ja, zärtlich, denn ich glaube, dass Gott ein zärtlicher Gott ist, denn welche andere Qualität sollte gegenwärtig sein, dort, wo die Liebe selber entspringt?Nun ist für uns Zärtlichkeit schnell mit Zweisamkeit, Verliebtsein und Partnerschaft verbunden. Aber das ist allein unserer Engführung dieses Begriffes geschuldet.
Denn Zärtlichkeit walten zu lassen, das kannst du überall.
Schon wenn du das Gesangbuch gleich wieder in die Hand nimmst, schon, wie du dir die Haarsträhnen aus dem Gesicht schiebst, schon wie du andere ansiehst, schon wie du in dir über dich sprichst, schon dort kann Zärtlichkeit Einzug halten.
Zärtlich sein heißt: Berühren wollen ohne anzupacken: Wie schnell greifen wir einfach zu, nehmen uns, was wir wollen, und merken gar nicht, was wir da in den Händen halten. Nimm es mit Offenheit und Zartheit, dann kannst du viel mehr spüren.
Was heißt Zärtlichkeit?
Zärtlich sein heißt: Freundlich sein: Es hütet uns vor groben und lauten Worten. Kein Bölken, kein Schreien und keine Worte, die unangenehm zu hören sind. Sondern lichte und helle Worte, Worte, die erfreuen.
Zärtlich sein heißt: In die Sanftheit Gottes einzuschwingen. Ich glaube, dass Gott auf uns Menschen zärtlich blickt. Er ist kein ruppiger Übergott, kein Abbild eines gewalttätigen Vaters, sondern ein Liebender. In vielen Texten wird Gott mit einem Bräutigam verglichen, nicht mit einem griesgrämigen Schwiegervater
Zärtlich sein heißt: Wach wahrzunehmen, was ich brauche. Nicht einfach alles zu essen und zu trinken, sondern gut zu mir zu sein, wirklich gut. Jeden Tag gut zu essen, gut zu trinken. Und natürlich auch gut zu anderen zu sein.
Zärtlich sein heißt: Alles wie heiliges Altargerät zu behandeln, wie es Benedikt in seiner Regel empfiehlt. Altargerät schleift oder schleppt man auch nicht einfach von einem Ort zum anderen, sondern es wird in Würde getragen. Jeder Weg eine Prozession, jede Handlung ein kleines Ritual.
Was Zärtlichkeit in dir bewirkt
Und dann, was passiert, wenn wir Zärtlichkeit so in unser Leben einladen? Jede zärtliche Geste öffnet etwas in dir, du kannst es versuchen und wirst feststellen: Jede Zärtlichkeit, die du in diese Welt und dir selbst gegenüber sendest, ist der Anfang einer inneren Öffnung. Du wirst offen für die subtile Gegenwart Gottes, entwickelst die sensible Feinfühligkeit für die Präsenz göttlichen Wirkens in dieser Welt.
Denn alles, was du tust und wie du es tust, wirkt nicht nur nach außen, sondern hat immer eine Entsprechung nach innen - zu dir.
Und so kannst du wachsen und dich öffnen für Gott in deinem Leben, lebst in einem virtuellen Raum der Freundlichkeit um dich herum, schenkst dieser Welt, die derzeit offenbar nur an Panzer und Kanonen denken kann, Sanftheit.
Die große Provokation
Zärtlichkeit ist in Zeiten des Krieges eine Revolution, eine Zumutung und zugleich das, was unsere Seele jetzt braucht.
Übrigens: Zärtlichkeit hat nichts mit Schlaffheit zu tun oder Willenlosigkeit, nichts mit Schwäche. Zärtlichkeit erfordert in unseren Tagen Mut, es ist das größte Risiko.
Wenn dann die Fastenzeit zu einer Zeit der Zärtlichkeit wird, dann kann Ostern, das ja auch nicht mit einem großen Brüllen passierte, dann kann Ostern in dir stattfinden.
Mit dem Ziel, dann inneren Mut zu finden und der Gewalt dieser Tage, der Verzweiflung, dem Hass und den Ideologien unserer Zeit, deine sanfte Geste, deine Freundlichkeit und dein zärtliches Wort entgegenzuhalten.