Wie geschieht Erlösung?

Eine berechtigte Frage in der Karwoche.
Hast Du darüber schon einmal nachgedacht? Der Arbeitsplatz des Erlösers oder der Erlöserin scheint in dieser Welt derzeit vakant zu sein und sucht noch nach Bewerberinnen und Bewerbern. Dass sich das schwierig gestaltet, wissen wir alle, denn man weiß nicht einmal, wie man die Tätigkeitsbeschreibung formulieren soll. Gewiss würde einiges an Gratifikation warten und Dankbarkeit und Ehrerbietung wären der Kandidatin oder dem Kandidaten sicher.
Aber noch wissen wir ja nicht einmal, was Erlösung ist, wie sie funktioniert und was man dafür können muss, um mit Fug und Recht Erlöser oder Erlöserin genannt zu werden.


Oper als inszenierte Erlösung

Vielleicht hilft es, sich einige Ideen aus einem anderen Bereich zu holen.
Den Brettern, die die Welt bedeuten, ist ja bekanntlich nichts Menschliches fremd. Erst Recht nicht, wenn dabei auch noch gesungen wird. In einer Oper erwartet man Liebe, Leidenschaft, Mord und Intrige und Verdammnis – ja, und dann hoffentlich auch Erlösung.

Natürlich gibt es auch die komödiantischen Opern, die uns einen vergnüglichen Abend bereiten. Doch scheinen mir die dramatischen Werke doch zu überwiegen – sie werden zumindest nach meinem Gefühl häufiger aufgeführt.
Dabei ist es kein Geheimnis, dass mich das Werk Richard Wagners in besonderer Weise nicht nur anspricht, sondern zugleich inspiriert und berührt. Es liegt daher für mich nahe, mich dort einmal umzusehen und die Frage zu beleuchten, wie man denn erlöst wird und was es denn ist: Erlösung.

Die Suche nach Erlösung in Wagners Opernwelt

Zunächst wird sich einem beim ersten Hinhören und Hinschauen Ernüchterung einstellen. Denn so viel Erlösung geschieht in den Werken des Romantikers Wagner gar nicht. Meistens sind am Ende alle tot – die eine bringt sich selber um, der andere verschwindet ins Nirgendwo und die andere folgt einem Gespenst in ein fernes Nirvana.

Und doch macht es Sinn, tiefer zu schauen. War doch für Wagner das Thema Erlösung ein wichtiges Motiv.
In seinen Werken baut er immer wieder Situationen auf, die sich nach und nach zuspitzen, dramatisieren, ins Unausweichliche abrutschen, in die Sackgasse gehen, bis gar nichts mehr geht, bis sich alles entkleidet und der Wahnsinn vor der Tür steht.
Wie findet ein Liebespaar zueinander, das sich nicht finden kann und darf, aber will, ja muss?
Wie kann eine Liebe Ziel und Erfüllung finden, wenn der Angebetete ein Leben als Halbtoter führt?
Wo bleibt die Erlösung, wenn der Held plötzlich reißaus nimmt?

Erlösung durch Liebe und Tod

Es ist interessanterweise gerade Wagners letztes Werk, Parsifal, das ein Happy End hat, wo der Erlöser ans Werk geht und sich nicht erst noch umbringt, entschwindet oder durch Gift stirbt.
Und doch muss die Frage gestellt werden, ob nicht auf je eigene Weise im Grunde alle Opern ein solches Happy End haben, wenn man davon ausgeht, dass der Tod nicht der worst case ist oder eben hier eine andere Bedeutung hat, als die der totalen Vernichtung.
Tatsächlich gehören für Wagner Liebe und Tod zusammen, bilden in gewisser Weise ein Paar. So kennen wir es schon von Shakespeare, wo Romeo und Julia erst im Tode zusammen finden.
Liebe beinhaltet stets die Fähigkeit der Selbstaufgabe in sich, des Überschreitens des eigenen Lebens, die Aufgabe eigener Ziele und eines eigenen Lebens.
Und das natürlich nur als Ausweg aus der höchsten Not und tiefsten Krise – nicht als Lösung für Paarkonflikte oder als psychologischen Trick und Manipulationsversuch.
Die Aufgabe seiner selbst ist nur in und aus der Liebe legitim und nur dann eine Lösung, wenn die pure Ausweglosigkeit sich breit macht.

Erlösung geschieht also durch den Tod aus Liebe.
Dabei ist mit Tod bzw. mit Selbstaufgabe nicht nur die Selbstvernichtung gemeint, sondern eben alle Spielarten der Selbsttranszendierung. Das ist die Fähigkeit, seine eigene Existenz ganz auf ein höheres Gut hin zu beziehen und durchleuchten zu lassen. Schon hier also können wir leicht Bezüge zur christlichen Erlösungsvorstellung finden. Denn auch bei Jesus Christus ist es die Liebe, die ihn zum Kreuz führt und das Opfer auf sich nimmt. Und der Tod aus tiefer Liebe führt dann zur Auferstehung, zum eigentlichen Akt der Erlösung.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

Und auch die christliche Spiritualitätsgeschichte weist auf den Zusammenhang von Tod und Erlösung hin, wenn immer wieder davon gesprochen wird, dass es gilt, abzusterben, den ersten Tod zu sterben. Auch hier geht es nicht um die persönliche Vernichtung oder eine Art Selbsterniedrigung. Hier geht es darum, absolut transzendent zu werden, durchsichtig für eine neue Wirklichkeit.

Der unschuldige Tor erlöst die Welt

Gerade aber in den Kar- und Ostertagen dürfen wir noch einen Schritt weiter gehen oder man müsste sagen, eine Oper weiter. Spielt doch der ganze letzte Akt von Wagners Parsifal am Karfreitag selber.


…weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist.


Regel des hl. Benedikt 3,3

Buddhistisch könnte man sagen, dass Erlösung aus dem Anfängergeist kommt, aus dem Geist des ewigen Novizen. Und das Wissen nicht zu den zentralen Qualitäten gehört, ja eine Portion Dummheit sogar hilfreich zu sein scheint – eben ein reiner Tor zu sein.
Und auch im christlichen Kontext spielt oft der Jüngere und damit Unerfahrene eine wichtige Rolle, …weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist.”
Regel des hl. Benedikt 3,3
Soweit die Opern von Richard Wagner.
Und was heißt das jetzt?
Dass Erlösung aus dem Vermögen der Selbsttranszendierung heraus geschieht, gepaart mit der Fähigkeit des Unwissenden.

Der Unwissende erlöst
Unwissenheit war immer auch ein Teil spiritueller Wege. Gerade in den mystischen Wegen kommt es darauf an, immer wieder alles Wissen zu lassen und sich ganz auf die Erfahrung zu konzentrieren. Das Wissen ersetzt die Erfahrung nicht, es kann vielmehr arrogant machen und führt weg vom Eigentlichen.

Im frühen Mittelalter hat ein englischer Mönch das Buch “Die Wolke des Nicht-Wissens” geschrieben und zeigt damit darauf hin, wie wichtig für die Gotteserkenntnis die Fähigkeit ist, all sein Wissen über Bord zu werfen und leer zu werden.
Und Nikolaus von Kues hat sein Hauptwerk “De doctor ignorantia” – “Über die belehrte Unwissenheit” überschrieben. Auch hier ein Hinweis, wie wichtig diese Form der Unwissenheit ist.
Parsifal war einer, der nicht einmal seinen Vater kannte oder seinen Namen, er wuchs allein mit seiner Mutter auf, die gute Grunde hatte, ihn so “dumm” zu belassen.
Doch ein anderes Wissen war längst in ihm gegenwärtig und wurde durch den Kuss der Kundry wachgerufen.

Der Verzicht auf alle Erkenntnis

Bei Parsifal wird natürlich die Unwissenheit an Kleinigkeiten fest gemacht, sozusagen symbolisiert. Aber es geht im Grunde darum, dass wirkliche Erlösung, dass neue Wege und neue Lösungen entstehen, wenn ich bereit bin, alles über Bord zu werfen, wenn ich mich der Leere stelle, wenn ich alles lassen kann, damit etwas anderes in mir Raum gewinnt.
Eine philosophische Entsprechung finden wir in der eidetischen Reduktion der Phänomenologie. Auch hier: Wir bekommen neue Erkenntnis, wenn wir uns aller Vorannahmen, aller bisheriger Theorie entledigen und auf die Dinge schauen wie ein Neugeborenes. Dann sind wir den Dingen am nächsten, dann offenbaren sie uns ihre immanente Weisheit.

Und Jesus?

War Jesus ein Tor?
War er ein Unwissender?
Ja und nein. Zunächst war er kein Intellektueller seiner Zeit – er war Handwerker, was wahrlich kein übler Beruf ist.
Aber er war offenbar doch soweit mit dem reinen Wissen, mit der klaren Erkenntnis verbunden, dass er nicht mehr auf menschliches Wissen zurückgreifen musste, sondern in eins war mit dem Wissen Gottes.
Er war Wissender von Gott her gedacht und frei von allem, was seinen Zugang zur Weisheit Gottes hätte eintrüben können.
Das war ja das Besondere an ihm, diese untrennbare Verbundenheit mit Gott, den er Vater nannte. In Jesus war die Leere gegenwärtig, die zugleich die Fülle ist.

Und Parsifal? Er ist nicht als ein neuer Christus gedacht, sondern als der Protomensch, als Archetyp eines neuen Menschseins, der die Welt zur Heilung bringt, erwacht und mit tiefem Mitgefühl ausgestattet.
Wir könnten ihn heute gut gebrauchen.

Bruder David


Wagner verstehen
Hast Du Interesse bekommen, Dich näher mit Wagners Werk zu beschäftigen? Ich kann nur sagen, dass es sich wirklich lohnt. Für mich stellt es eine Bereicherung meines Lebens dar.
Es gib ab dem 12. Mai 2019 einen kostenlosen Online-Kurs zu den Opern Richard Wagners. Den lohnt es auf alle Fälle mitzumachen.

– Du bekommst einen Überblick über das Werk
– Erfährst von der Handlung
– manche Anekdote ist auch dabei
– Du wirst erfahren, warum die einzelnen Opern sich lohnen
– jede Oper ist mit einem Film-Ausschnitt versehen
– ein Quiz macht das ganze lebendig
– Und in den Kommentaren kannst Du Deine Fragen loswerden

Bruder David


das könnte Dich auch interessieren:

Wie entsteht echte Weisheit?

Wie entsteht echte Weisheit?

Kommentare

  • Ich glaube Erlösung geschieht, wenn wir eins mit Gott und der Gottesliebe werden: immer wieder auf diesen Weg zurückfinden.

  • Interessante Verbindungen!
    Eine Grundfrage hast du allerdings offen gelassen: Wovon wir überhaupt erlöst werden wollen oder müssen.

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Abonniere unseren Klosterbrief!

    Der Klosterbrief kommt zweimal im Monat heraus und infromiert über unsere Klostergemeinschaft, unsere Veranstaltungen, Gottesdienste und gibt Impulse zum spirituellen Leben.
    Datenschutzerklärung

    >