13/05/2021

Für manche fühlt es sich wie im Himmel an, wenn sie wieder das erste Bier im Biergarten oder den ersten Kaffee im Außenbereich eines Restaurants auf dem Marktplatz trinken dürfen. Wir hier in der Region Hannover müssen – zumindest zu dem Zeitpunkt, an dem ich diesen Artikel schreibe – noch ein wenig warten. Aber die Hoffnung wächst von Tag zu Tag, dass die Inzidenzzahlen auch hier unter 100 sinken und all dies dann auch in Hannover möglich wird. Ein Stück Himmel auf Erden? Und das pünktlich zu Christi Himmelfahrt, dem Tag, der unter dem Etikett „Vatertag“ in der alltäglichen Gewohnheit für viele nur ein alkoholreicher Wandertag in Gruppe geworden ist?

Eine Welt, in der nichts, was wir kennen, so ist, wie wir es kennen.

Ich denke in diesen Tagen häufig an einen Satz von Alexander Geers, den er in einem Interview vor seinem Weltraumflug im Jahr 2014 gesagt hat: „Wir treten ja in eine unbekannte Welt ein, in der wirklich nichts, was wir kennen, so ist, wie wir es kennen.“ Das sagt einer, der beauftragt ist, im Weltall Forschungen zu betreiben, damit das Leben auf dieser Erde besser wird. Das sagt einer, der durch seinen veränderten Standpunkt im wahrsten Sinne des Wortes die Erde neu in den Blick nehmen kann, anders als es uns möglich ist.

Und ich frage mich, ob dies nicht auch ein Stück auf unsere Zeit nach dem Lockdown zutrifft: Wir kehren langsam zurück in einen Alltag, in dem zumindest vieles, was wir kennen, nicht mehr so ist, wie wir es kennen. Und wie bereitet man sich gut darauf vor, in einen solchen Alltag zurückzukehren?

Vertraut und unausdenklich

In diesem Jahr höre ich ganz besonders aufmerksam die biblischen Geschichten, wie die Jünger damals dem auferstandenen Jesus begegnet sind. Da scheint mir gerade etwas sehr verwandt zu sein: Natürlich sind das alles Geschichten, die ich lange und gut kenne. Aber eigentlich will die Bibel von unausdenklichen, unbeschreiblichen Ereignissen erzählen, die für die Menschen, die es damals erlebt haben, total anders waren als all das, was sie bisher erlebt hatten. Es ist sogar etwas, was das Denken und das Verstehen übersteigt – eine Art mystische Erfahrung oder menschliche Verbundenheit – ein Ergriffensein von dem, was ist. Die Jünger wirken wie von einer Last befreit, das Schwere hat sich in Leichtigkeit verwandelt, die Kräfte kehren zurück und der Zweifel wird kleiner.

Irgendwie fasziniert mich das. Ist es vielleicht eine Chance, auch in meinem Alltag ganz neu ergriffen zu sein? Es gibt so viele Dinge, die ich jetzt viele Wochen und Monate nicht mehr getan habe, weil ich sie nicht mehr tun durfte. Wie will ich sie jetzt wieder tun? Zusammen musizieren, einen Menschen in den Arm nehmen – ich möchte es nicht mehr so selbstverständlich und routiniert tun, wie ich es bisher jahrelang gemacht habe. Denn jetzt habe ich erlebt, dass es etwas Besonderes ist.

Neu schauen auf die Schönheit eines Momentes

Und so ist der Titel dieses Artikels – „Wie im Himmel“ – auch kein Zufall. Gerne denke ich an diesen schönen schwedischen Kinofilm aus dem letzten Jahrzehnt. Besonderes im Alltäglichen zu entdecken und daraus in die Leichtigkeit und Kraft zu finden. Das Eutonieholz in meiner Praxis, dass manche Leser aus meinen Artikeln ja schon kennen, hilft mir körperlich, die Muskeln immer wieder neu auf das Gleichgewicht einzustellen. Aber diese Eutonie gibt es auch in den Gedanken: immer wieder den Standpunkt meiner eigenen Betrachtung zu verändern und die Begegnungen meines Alltags nicht allein aus der „vor-coronalen Brille“ zu sehen. Schon jetzt ist vieles anders, vieles neu geworden. Vor allen Dingen aber habe ich gelernt (und möchte ich immer noch weiter lernen), neu zu schauen und intensiver die Schönheit eines Momentes und einer Begegnung zu erleben. Ein Stück Himmel auf Erden…

Und ich freue mich wieder, von Dir zu lesen, wie es Dir mit dem Himmel auf Erden ergeht.

Bruder Karl-Leo


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Kommentare

  • Lieber Bruder Karl Leo,
    danke für die Denkanstöße. Dieses Jahr fällt Himmelfahrt und Zuckerfest zusammen. Welch seltenes und ungewohntes Ereignis, auch ein Impuls Islam und Christentum neu zu entdecken, raus aus alten Mustern. Mir geht es mit dem Himmel, wie mit einem Gemisch aus Angelus Silesius: Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für. Und dem Lied von Fritz Baltruweit: weißt Du wo der Himmel ist, außen oder innen, eine Handbreit rechts und links, du bist mittendrinnen.
    Himmelfahrt ist für mich der zweite Schritt im nachösterlichen Leben. Alles weitet sich und will neu gesehen und gelebt werden. Ich kann in der inneren Verbindung mit dem Göttlichen leben. Indem ich dem vertraue starre ich weniger gelähmt auf Krisen und erlebe wie mir weniger mehr wird und sich meinem Blick und Handeln immer mehr bisher unbeachtete Möglichkeiten auf tun. Einer meiner Lebensgrundsätze lautet :Vielleicht ist alles ganz anders.
    Im letzten Jahr veröffentlichte Bruder Nikolaus die 12 Fragen: Wie wollen wir weiterleben? Ich werde ihnen nocheinmal nachgehen.
    Pantha rhei und
    liebe Grüße
    Ulrike

    • Liebe Ulrike, vielen Dank für die Rückmeldung. Ja, der Satz von Alexander Geers bring wirklich in sehr treffender Weise dieses spannungsfeld von Bekanntem und Unbekanntem zusammen…

  • Gestern war ich bei einer Veranstaltung, bei der sich zum Schluss alle Teilnehmer im Kreis stehend an den Händen hielten. Auch wenn ich sonst eher den Abstand schätze, war es in dem Moment genau so, wie Sie es schreiben: Ein besonderes Geschenk, eine Begegnung, endlich wieder möglich.

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