Werke der Barmherzigkeit: “Ich höre Dir zu!“

Im Nachgehen dieses Satzes der Werke der Barmherzigkeit ist mir klar geworden, dass er eigentlich nicht das aussagt, was er wirklich meint. Wenn ich jemandem etwas sage oder erzähle und er mir zuhört, dann reicht mir das in der Regel nicht. Ein Computer kann mir auch zuhören und ein Haustier auch und dennoch erlebe ich die Art des Zuhörens anders als wenn mir ein Mensch sein Ohr leiht.
Aber auch unter Menschen gilt: Zuhören ist nicht gleich zuhören. Es ist ja nicht genug, dass jemand schweigt während ich rede und meine Worte in seiner Sprache, die auch meine ist, versteht. Es geht nicht darum, dass meine Worte in etwa in der gleichen Bedeutung verstanden werden wie ich sie gesendet habe. Das kann, wie gesagt, auch ein Computer. Und erste Programme wie Siri von Apple erledigen das ja auch schon recht gut.
Worum geht es also, wenn es nicht um das reine Hören als solches geht? Ich glaube, dass es um das tiefere Verstehen geht. Jeder und jede möchte in seinen und ihren Beweggründen verstanden werden, vor allem darin. Da soll jemand vor mir sitzen, der meinen Ausführungen folgt und versteht, warum ich dieses so und jenes genau so sehe, erlebe oder empfinde. Jemand soll mit mir durch meine Welt gehen, an meiner Seite, und ich zeige ihm oder ihr meine Welt. Das ist etwas ganz anderes, als jemandem etwas zur Kenntnisnahme vorzulegen.
Das lässt uns unzufrieden und nicht selten auch enttäuscht zurück. Da sagt einer: “Ich habe dich ge-hört!”, das klingt ganz anders, als wenn jemand äußert: “Ich verstehe was Du meinst und ich kann es nachfühlen”. Das Hören ist der Beginn der Verstehens. So könnte das Werk der Barmherzigkeit für die zweite Adventswoche auch so lauten: Ich verstehe Dich! Was passiert in uns, wenn wir uns verstanden fühlen, warum ist das so wichtig? Es gibt Untersuchungen die aufzeigen, dass wir dann, wenn wir uns verstanden fühlen, uns in den Hirnregionen bewegen, in denen wir uns zutiefst mit uns identisch fühlen. Es ist die Region, die uns hilft Probleme zu lösen, das Unveränderliche anzunehmen und ganz kreativ neue Wege zu entwickeln. Deshalb ist das Zuhören und Verstehen auch in Beratung und Therapie zu wichtig, weil es neue Möglichkeiten und die Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen ermöglicht. Und es kann noch etwas passieren. Wenn wir schon neurophysiologisch denken: In dem Bereich unseres Gehirns geschieht auch das, was wir Transzendenz nennen. Das heißt: Dort ist der Ort, wo es uns gelingt, über uns hinaus auf Gott hin zu denken: auf das Größere, das Barmherzige und Lieben hin. Wer uns wirklich zuhört, wer uns versteht, der erweist uns tatsächlich ein Zeichen der Barmherzigkeit, weil er oder sie uns ermöglicht uns auch im Schweren für Gott zu öffnen.
Und wenn wir uns bemühen, Menschen in ihren Beweggründen zu verstehen, ihrem Denken und Erzählen nachzugehen, dann tun wir ihnen etwas zutiefst Gutes. Gott versteht immer und will immer verstehen – er will niemals zur Kenntnis nehmen. Weil Gott der Barmherzige ist, ist er einer, der immer schon versteht – noch bevor wir selbst verstehen. Verstehen schließt allerdings verurteilen aus.
Mit einem Urteil verschließt sich uns der Zugang zu Gott und zu unseren kreativen Möglichkeiten, zu der Fähigkeit auch das Unannehmbare anzunehmen. Dann sind wir erst recht verloren, was heißt, wir haben keinen Zugang mehr zu dem Bereich in uns, der sich zu Gott hin öffnet. Gott liebt nicht alles was wir tun, aber er liebt bei allem immer den Menschen selber. Das ist dann kein blindes Verstehen – als wäre immer schon alles in Ordnung – sondern ein sehendes, bei dem die Barmherzigkeit und Liebe doch immer siegt.

Bruder David Damberg

Bruder David


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Kommentare

  • Hallo, :O)

    ich finde es ist echt wunderschön und sehr wichtig von anderen Menschen und vom lieben Gott verstanden zu werden in Liebe und Barmherzigkeit und das ich selbst auch anderen richtig zuhöre. Zuhören bei anderen aber auch selbst reden wenn einen danach ist. Was gibt es schöneres? Das ist ein sehr schönes und kostbares Geschenk. Ich fühle mit Dir…Ich verstehe Dich…Du bist nicht alleine.

    Ich fühle mich in diesen Momenten gestärkt und auch getröstet. Jemand geht ein Stückchen mit mir…Vielleicht auch gerade in schwierigen Zeiten. Ausserdem finde ich das es die Last auf der Seele befreit.

    Mir wird dabei ganz warm ums Herz wenn ich das lese. lg Corinna

  • hallo,
    ja, das kann man gar nicht hoch genug schätzen- wenn auf einmal da einer ist, der einen versteht, auch wenn man vielleicht auch grade nicht alles perfekt und richtig gemacht hat- sich aber doch einer die Mühe macht, dahinter zu schauen, den Menschen mit seiner Geschichte wahrzunehmen im Hier und Jetzt… Dies wird mir immer wichtiger… früher war das eher etwas ganz normales Selbstverständliches für mich – aber mir kommt das echt manchmal wie ein Wunder vor,
    und ich merke auch im beruflichen Umgang mit Menschen , dass ein „offenes Ohr und Herz“ meist schon „die halbe Miete ist“, um zumindest auf Augenhöhe zu kommunizieren, dem anderen seinen ganz einmaligen Wert spüren zu lassen..
    Aber genau so gibt es natürlich dann diese Pleiten… wo der beste Wille nix hilft, Misstrauen und Missverständnisse auftreten und Mauern entstehen… auch das ist meine Erfahrung- hier fängt mich das wieder auf-EINER versteht auch diesen ganzen Wirrwarr in unseren Beziehungen, auch mich , in Traurigkeit und Enttäuschung , Versagen.. und ich kann mich bergen bei Ihm- letztlich auch den Anderen in meinem Herzen mit bei Ihm bergen…so und nur so habe ich Mut und Freude, auch morgen früh wieder aufzustehen und den Menschen zu begegnen, so, als wäre es das erste Mal- das erleichtert es manchmal ungemein…
    liebe Grüße,
    Astrid

    • Hallo, Deine Zeilen erinnern mich an den Gedanken Gott als den liebenden zeugen meines Lebens zu verstehen, der an allem Anteil nimmt und alles in Liebe betrachtet. Ich finde diesen Gedanken sehr schön – es geht nichts verloren, nicht aber, um es zu registrieren, abzuheften und zu bewerten, sondern, um es in Liebe aufzunehmen. Kannst Du damit etwas anfangen? LG Bruder David

  • hallo und danke für den Impuls- ja, damit kann ich etwas anfangen,
    das ist Teil meines Glaubens, meiner Hoffnung: ein Gegenüber in IHM zu haben, dass nicht zu aller erst bewertet…zensiert
    sondern mich nimmt wie ich bin, und das mit einer Liebe, die unfassbar sein muss.. sonst müsste er wohl oft den Mut oder die Geduld mit mir verlieren.
    Das ein ganz kleines bisschen „abzugucken“ … und umzusetzen, will ich versuchen, mit Anderen und mit mir auch .
    ja, ein Gegenüber, einen verborgen Anwesenden Liebenden zu glauben- das ist mir mehr und mehr wertvoll- und eigentlich nicht beängstigend komischwerweise, obwohl auch mein Sein und Tun nicht immer so doll ist…
    Einen Raum zu haben in Ihm, Frieden in allem Unfrieden, und die Hoffnung , dass alles begonnene einmal vollendet und sinnvoll sein wird ….
    wie wenig zeit bleibt manchmal am Tag , daran zu denken- aber wenn es geschieht, dann „haut es einen manchmal fast um“…
    Astrid

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