Von der Religion der guten Absichten

Gut, der Titel ist etwas stelzig, ich weiß. Aber es geht ja auch um einiges. Die letzten Wochen haben mir so manche Erkenntnis gebracht und manche kritische Haltung an den gängigen religiösen und kirchlichen Verhaltensweisen noch verstärkt. Und genau davon möchte ich Dir berichten. Das wird keine philosophisch und wissenschaftlich ausgearbeitete und verifizierte Abhandlung werden, sondern eher Bruchstücke oder Fragmente. Was nicht heißt, dass solche Stücke nicht auch eine hohe Evidenz besitzen können.

Das ewige Müssen und Sollen

Über die Last an der kirchlichen Sprache muss ich nicht viel schreiben – es wird uns allen so ergehen. Manches hat sich verbessert – bei weitem nicht alles. Mir geht es jedoch, wenn ich über die Religion der guten Absichten spreche, und hiermit meine ich das Christentum insgesamt, vor allem darum:
Die kirchlichen Verlautbarungen, die vielen Predigten, die ich in meinem Leben bereits gehört habe und hören musste, die Vorträge und Artikel, sie lassen sich meistens auf einen strukturellen Nenner bringen – sie ermahnen, appellieren, fordern, empfehlen, drängen darauf, treten auf das entschiedenste dafür ein, dass ich mich ändere, dass ich mich anders verhalte – es geht immer um Moral und Ethik.
Ich soll mehr spenden, mehr beichten, mehr für Flüchtlinge tun, barmherziger sein, mehr beten, soll zur Messe gehen, Rosenkranz beten, verzeihen wo es nur geht, soll keinen Sex vor der Ehe haben, als Mann keinen Mann heiraten, mich nicht scheiden lassen und vor allem danach nicht nochmal heiraten, ich soll mich engagieren, mich einsetzen, soll nicht abtreiben, nicht lügen, die Eltern nicht vernachlässigen und dann und wann natürlich auch auf mich achten, soll für die Natur sein, für Tiere. für den rechten Glauben und ich könnte noch mehr sagen.
Nicht, dass der eine oder andere Punkt nicht wichtig wäre – er ist es und es muss und soll gesagt sein.
Nicht, dass zum geistlichen oder spirituellem Leben nicht auch das Verhalten gehört, es gehört dazu.

Moral statt Spiritualität

Das alles meine ich nicht. Was ich meine ist dies: Ich habe den Eindruck, und das ist meine These: Wer über das Geistliche und Spirituelle nichts zu sagen hat, der wird moralisch oder ethisch. Wer nichts von der Seele weiß, der wird pragmatisch, wer nicht über Haltungen sprechen kann, der spricht über Verhalten, wer über das Innere des Menschen nichts aussagen kann, der spricht über das Äußere. Das ist die Religion der guten Absichten, die ermüdet und die Herzen der Menschen nicht mehr erreicht.
Was übrigens nicht heißt, dass jeder oder jede, die über Ethik und Moral spricht, nichts über Spiritualität zu sagen hätte.

Das Problem ist, dass in unserer christlichen Kultur schon viel zu lange die Religion der guten Absichten gelebt wird. Die Forderungen ändern sich, manches hat sich deutlich von der Zielsetzung her geändert, auch die Sprache ist deutlich angenehmer und die Absichten sind zu einem großen Teil nicht zu kritisieren – aber sie erreichen viele Menschen nicht mehr.
Die Menschen aber haben einen Hunger danach, in ihrer Seele oder ihrem Herzen erreicht zu werden.
Aber warum erreichen Absichten die Herzen nicht?

Absichten gehören zur Logik

Wer über Absichten spricht und sie formuliert, wird das Herz der Menschen meistens nicht erreichen, weil Absichten in uns ganz anders verarbeitet werden und eher zum Bereich der Logik gehören und daher in unserer linken Gehirnhälfte zu Hause sind. Das Selbst oder das Herz, es ist in der rechten Gehirnhälfte lokalisiert.
In der linken Gehirnhälfte wird gesprochen, gerechnet, durchdacht, hier ist auch die Sensibilität für Unterschiede zu Hause. Das heißt, dass hier vor allem eine Sensibilität für Fehler vorherrscht. Wer also immer auf Fehler fokussiert ist und Absichten formuliert, der wird die Menschen nicht in dem erreichen, was wir das Selbst nennen oder das Herz.

Dort, wo das zu Hause ist, was wir bildlich als Herz oder Seele bezeichnen, dort wird nicht in Worten, sondern in Bildern kommuniziert und damit unspezifisch, dafür aber sehr schnell.
Der Zugang zu diesem Teil unserer Persönlichkeit ist Voraussetzung dafür, dass wir uns in unserem Leben zu Hause fühlen, dass wir mit schweren Zeiten unseres Lebens zurechtkommen. Hier ist man sich selber ganz nah, kann die Fülle des Seins wahrnehmen, fühlt Hoffnung, Liebe und hier entsteht ein Glaube, der das Leben verändert.
Wer die Menschen hierhin führen möchte, wird in Bildern sprechen, wird eine eher lyrische Sprache wählen, Zeichen setzen, die mit dem Herzen verstanden werden, wird sich nicht auf Fehler fokussieren, keine Unterschiede hervorheben, sondern ganz im Gegenteil. Wer diesen Bereich unserer Persönlichkeit ansprechen will, der wird beruhigen und wird positiv motivieren.
Wer Menschen hierhin führen will, wird den Selbstausdruck stärken, ohne gleich Angst vor Egoismus zu haben und den Egoismus der Gesellschaft insgesamt reflektieren zu müssen.
Hier geht es um Wege, es geht auch darum, Fehler zu machen, in die Irre zu gehen (was immer das heißen mag), um dann einen anderen Weg zu wählen und es geht darum, aus mir selbst heraus zu handeln.
Wer Menschen hierhin führen will, verzichtet darauf zu lehren und beginnt zu inspirieren.

Sprache der Seele

Aber die Seelensprache und die Herzensworte, sie werden in den Kirchen oft nicht mehr gesprochen. Man weiß viel über die Bibel zu sagen – und das ist gut so – und man weiß einiges über komplexe theologische Grundfragen und Konzepte. Aber über die Seele? Was das Herz braucht? Da findet sich nicht viel.
Wenn die Seele wachsen, wenn das Herz sich öffnen soll, dann kann dies nur jenseits von Absichten geschehen und seien sie auch noch so gut. Die Seele öffnet sich nur um ihrer selbst willen, sie ist schnell in Sorge, dass sie benutzt wird, dass andere sich ihrer bedienen, dass andere die Führung übernehmen und der Seele nicht den Raum geben, die sie braucht.
Der Mensch, der nicht sich selbst gefunden hat (also in seinem Selbst verankert ist), kann nicht wirklich entscheiden, welche Absichten zu ihm gehören und welche nicht. Und wer viele Absichten gelebt hat, die nicht zum ihm oder ihr passen, der fühlt sich entfremdet und wird die Quelle der guten Absichten als übergriffig erleben – auch im Nachhinein.

Der Glaube in unserer Gesellschaft wird weiter zurückgehen, wenn wir nicht beginnen, vor allem über das Spirituelle und Geistliche zu sprechen – und dann auch über Ethik und Moral.
Es ist die Aufgabe der Kirche – so sehe ich das – den Menschen die Nähe Gottes zu eröffnen und nicht vor allem eine Agentur für Moral und Ethik zu sein.

Vielleicht siehst Du das anders oder ganz ähnlich. Sag mir Deine Meinung!

 

Bruder David


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Kommentare

  • Lieber Bruder David,
    mit dem Text sprichst Du mir aus der Seele. Ich bin nach rund 25 Jahren in meine alte Gemeinde zurückgezogen. Aber es war einfach nur schlimm. In den Gottesdiensten war nichts was mich berührt hat. Nicht einmal ein winziger Funke von Gottes großer Liebe zu den Menschen, die unser Herz erwärmt und unsere Seele frei macht.
    So war ich auf der Suche und recht schnell hatte ich in der Nachbarstadt das gefunden wonach ich gesucht hatte. Ich denke, dass es eine Fügung war, die mich genau dorthin geleitet hat.
    Euch Brüdern noch einen wunderschönen Abend und eine gesegnete Nacht
    Euer
    Matthias Fiebig

    • Lieber Mathias,
      vielen Dank für Deine Rückmeldung. Schön zu wissen, dass ich mit meiner Einschätzung nicht alleine bin. Gruß, Bruder David

  • Hallo guten Abend David,
    ja, da hast Du sicherlich vielen, auch mir aus der Seele gesprochen.
    Nicht, das Moral und Ethik unwichtig wären,
    aber sie sind nicht das, wozu uns eine religiöse Tradition ver-führen sollte.
    Jede spirituelle oder religiöse Tradition hat, wie David Steindl-Rast es gut beschreibt, als Ur-Ereignis einen oder mehrere Menschen, die die Erfahrung der innersten, existenziellen Zugehörigkeit gemacht haben. Das ist der Kern der mystischen Erfahrung des EinsSeins, mit Gott, dem Göttlichen, dem Heiligen, wie immer das der Einzelne dann deutet und beschreibt. Und es ist auch das EinsSein mit allen Menschen, mit dem Leben, mit dem Kosmos. Und wenn ich mich so verbunden fühle mit den anderen, dann will ich ihnen auch nicht schaden, dann will ich zutiefst, dass es ihnen gut geht. Dann fließt wohl aus dieser kontemplativen Erfahrung von ganz allein ein positives lebensförderliches Verhalten, aber eben kein tödlicher Moralismus, der mehr Leben verhindert als fördert, wie das leider all zu oft in der christlichen Geschichte passiert ist (in allen anderen Traditionen aber leider auch, das ist eine sehr globale menschliche Realität).
    Aber zum Glück finden auch immer wieder Menschen zu dieser Urerfahrung des Religiösen und dann auch zu einem von Enge befreiten geistlichem Leben.
    So habe ich auch Euch Brüder in der Cella erlebt!
    Euch einen gesegneten Sonntag in Hannover
    pace e bene
    michael

    • Hallo Michael,
      Du sprichst mir aus der Seele. Ja, darum geht es letzten Endes, um die Erfahrung des EinsSeins mit allem. Und ich wünsche der Kirche, dass sie das Mystische in der Bibel und Jesus als Mystiker wieder entdeckt. Und ich danke Bruder David für seinen Impuls.
      Schalom
      Mirijam

  • Ich grüße Sie und die Lesenden.

    Mein Glaube findet meistens permanent, ähnlich wie das Atmen, statt.
    Manchmal denk ich nicht daran, dann wieder ringe ich um jedes Glaubenslüftchen, um mich zu stärken.
    Bewusst bin ich mir der ständigen Nähe und Liebe unseres Herrn.
    Gottesdienste, Kirchenlieder,Psalmen usw geben mir durch die lange Tradition Pfeiler und Zugehörigkeit, die meine persönliche Stärke und Tiefe im Glauben kaum beeinflussen.

  • Vor Allem muss die Kirche lernen auf die Menschen zuzugehen, die Menschen begeistern und mitnehmen. Das funktioniert aber nur, wenn ich selbst begeistert bin.
    Euch einen gesegneten Sonntag

  • Lieber David,
    auch mir ist die Situation gut bekannt.
    Die Urgemeinde hörte das Evangelium, sah oder ging mit den Personen die es lebten und nahmen durch die persönlich gemachte Erfahrung den Glauben bewusst an. Die veränderte ihr Leben. Die veränderte Lebensweise machte andere neugierig.
    Heute haben wir durch die Kindertaufe die ersten zwei Schritte übersprungen. So leben die meisten Menschen einen ererbten Glauben. Dieser erwuchs meist aus der religiösen Erziehung.
    Wir leben in einer Zeit, die wieder evangelisieren muss. Im Wort und vor allem im Leben. Wir, die wir einen ganz persönlich, erwachsenen Gauben leben, sind heute genau so gefragt, wie die ersten Christen.
    Und wir müssen unsere Erfahrungen weitergeben. Da hast Du genau das getroffen, David, was nötig ist. Erfahrungen in Geschichten und Bildern. Hast Du, haben wir so die Menschen im Herzen erreicht, dann werden sie “umkehren” und ein authentisches Zeugnis geben können.
    Back to the roots! 😉

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