Mystiker werden

Mystiker werden


Es sind diese besonderen Momente – gerade mit Kindern. Man betritt eine alte romanische oder gotische Kirche, blickt in die große Halle hinein mit ihren Rund- oder Spitzbögen, riecht vielleicht noch den Weihrauch vom Gottesdienst am Morgen oder vom letzten Sonntag, auch die vielen Kerzen, die hier gebrannt haben, haben ihren Duft hinterlassen. Besondere Lichteinfälle bannen unseren Blick und man schreitet interessiert und leicht ehrfurchtsvoll durch die heiligen Räume. Wie viele andere schlendert man die Gänge entlang, ist still, flüstert mehr oder weniger und fühlt sich doch auch irgendwie fremd in diesen Gottesgassen.
Kirchen sind beliebte Orte gerade in Urlaubstagen. Und gerade die ganz großen Kirchen, aber auch manche kleine, sind fremd und faszinierend zugleich. Kinderaugen werden groß und es entsteht eine ganz besondere Spannung, die manche nur durch lautes Gerede auflösen können. Tremendum et fascinosum heißt es – erschüttert und fasziniert zugleich, so wird religiöses Ergriffensein beschrieben. Die großen, manchmal dunklen oder lichtdurchfluteten Räume sind nicht heimelig, sondern können uns ob der Größe schon klein machen und erschrecken. Zugleich ziehen sie uns an, wo gibt es sonst noch solche Räume, wer hat sonst noch solche Weiten zu bieten? Die Schalterhallen der Banken und Bahnen sind es nicht und auch die Theater, Oper und Stadien nicht. Sie haben ihre eigene Wirkung, die aber der einer großen Kirche nicht gleich kommt.

Der innerste Raum

Für manche Besucher der Kathedralen und Dome ist es die einzige Begegnung mit einem inneren Raum, der sonst in ihrem Leben gar nicht vorkommt und sich hier unvermittelt öffnet. “Alle Menschen nennen eine innere Kammer ihr eigen. Im Innern jedes menschlichen Wesens gibt es einen Raum, einen ganz persönlichen Bereich, zu dem nur Gott Zutritt hat.”, schreibt Ernesto Cardenal und führt einige Zeilen sinngemäß weiter aus, dass es passieren kann, dass sich solch ein Raum zu Wort meldet mitten im Getümmel, nach einer durchzechten Nacht, wo plötzlich diese Traurigkeit, diese Leere und dahinter diese unendliche Sehnsucht aufsteigt, die nichts anderes ist, als die Sehnsucht nach dem Geliebten, nach Gott. Vielleicht gipfelt eine solche Erfahrung in der Frage: Ist das alles, gibt es noch mehr? Oder einfach in der Erkenntnis: das reicht mir nicht, das Leben bietet mir zu wenig. Vielleicht blitzen diese Fragen nur kurze Momente auf, bevor es weitergeht, das nächste Museum, die nächste Kirche, das Restaurant, das Glas Whisky, was auch immer.

Jeder Mensch ein Mystiker

Joseph Beuys schrieb den berühmten Satz: “Jeder Mensch ist ein Künstler.” und man kann in seinem Sinne hinzufügen: “Jeder Mensch ist ein Mystiker.” Uns allen steht dieser Raum offen, der innerste Raum und in uns allen lebt und webt diese Sehnsucht, total erfüllt zu sein von der Liebe, von Gott, vom ewigen Sein… wie immer Du es nennen magst. In diesen Sekunden der Erkenntnis und Betroffenheit sind wir es: Mystiker, Erfahrene, und spüren zugleich, wie weit wir davon noch entfernt sind. Doch ein Mystiker zu sein ist nichts für besonders Begabte, sondern ist die eigentliche Form des Daseins.
Ich möchte Dich einladen, mit mir zusammen in den nächste Wochen zu erkunden, was es heißt Mystiker zu sein und zu werden. Verschiedene Aspekte möchte ich beleuchten, die Hinweis geben können, wie ich die Pforten dieses inneren Raumes offen halten kann. Ich weiß, der Titel ist etwas reißerisch, aber ich möchte nicht immer die gewohnte Sprache nutzen und auch gerne Interesse wecken – manchmal muss man da auch schon mal etwas reißerisch werden.

Du bist nun eingeladen, Dich zu beteiligen, gerne greife ich Deine Gedanken mit auf und beantworte Fragen und Kommentare.

Bruder David


das könnte Dich auch interessieren:

Kommentare

  • Lieber Bruder David,
    für diesen Artikel ein besonderes Dankeschön von mir!
    Er kommt ja auch an einem für das Thema Mystik sehr passenden Tag,
    feiert doch die Kirche heute eine Frau, die das, was Mystik im Leben eines Menschen bedeutet, auf besonders sympathische Weise mit Mut und Humor gelebt hat.
    Teresa von Avila ist ja diesen Weg nach innen, in die innere Burg wie sie sagt, konsequent wie wenige gegangen. Sie gilt sicherlich zurecht als eine der ganz großen Mystikerinnen des Abendlandes.
    Aber es kann sehr befreiend sein, zu erkennen, dass jeder Mensch von Natur aus ein Mystiker ist, nicht nur die bekannten Heiligen aller Religionen.
    Ob er oder sie sich dessen bewusst ist oder nicht.
    Das Geheimnis des Lebens, der Lebendige Gott, das heilige Selbst ist ja in jedem Menschen gegenwärtig: ungefragt und oft unbeachtet.
    Aber Es ist da. Der innere Raum wartet still darauf, dass wir in ihn eintreten und dem begegnen, den wir Gott nennen, und der doch jenseits aller Begrifflichkeiten existiert.
    Egal ob es die Wüstenväter im alten Ägypten waren, die Yoga Siddhas im alten Indien, die Sufis in Arabien oder die mittelalterlichen Mystiker in abendländischen Klöstern. Alle haben sie dieses menschliche innerste Geheimnis erkundet: in Stille und Meditation, in Gebet und heiliger Lesung, in ständigem Loslassen alles Vergänglichen.
    Dieses Geheimnis ist wohl der Urgrund aller Religionen und aller spiritueller Wege. Und dieser Weg nach innen geht doch auch immer wieder über in einen Weg nach außen zu den Menschen. Er bleibt keine pure Nabelschau, auch wenn die Zeiten des Rückzuges für diesen Weg ein Leben lang Not-wendig sind.
    Spannend bleibt für mich das Verhältnis dieser inneren mystischen Erfahrungen aller spirituellen Menschen und der irgendwann sehr verfestigten Religionssysteme, die den lebendigen Atem der ERfahrung verloren haben. Nicht nur ein Problem der chrsitlichen Religion.
    Und spannend bleibt auch die ständige Sehnsucht nach mehr Stille, nach mehr innerer Begegnung mit dem Heiligen.
    Aber da höre ich die heilige Teresa, wie sie dem heiligen Juan de la Cruz auf seine unstillbare Sehnsucht nach mehr Stille geantwortet hat: “Manchmal ist die Sehnsucht nach Stille wichtiger als die Stille selbst.”.
    Weiser Gedanke, denn auch diese Sehnsucht kann schon das Leben im lauten Alltag unmerklich verwandeln, mit-tragen, durch-tragen.
    Ja, David, gut ist es für mich, diesen Weg zwischen dem heiligen Raum in mir und dem im tiefsten ebenso heiligen Raum des Alltags auch mitten in Berlin zu gehen, ohne das Kloster, das ich einst so schnell wieder verlassen habe.
    …aber die Sehnsucht bleibt. Und umso wichtiger ist das innere Kloster für mich geworden.
    Und ich glaube, die Entfernung des Weges nach innen ist überall die gleiche, oder?
    Dir und den Brüdern weiterhin einen guten Weg nach innen und ins Außen.
    pace e bene
    michael
    🙂

    • Lieber Michael, ich denke, dass es keinen bestimmten Raum oder Ort braucht – letztlich nicht. Am Anfang ist das wichtig, gewiss. Aber irgendwann spielt das keine Rolle mehr, dann weiß man, dass der Ort ohnehin in mir ist. Ich war vor ein paar Tagen in Münster, wo ich studierte und viel erfahren habe. Es ist die Stadt meiner Selbstentwicklung. Ich bin gerne dort und manchmal denke ich, dort könnte ich in vielem wieder anknüpfen. Doch als ich vor ein paar Tagen da war, da wurde mir klar – so komisch das klingen mag – Münster ist in mir, ich brauche diese Stadt nicht. Wenn es mir hier in Hannover nicht gelingt, gelingt es mir auch in Münster nicht.
      Auch das Kloster ist nur eine Unterstützung, mehr nicht. Um die eigentliche Arbeit kommt man niemals herum. Der klösterliche Raum ist gewiss in vielem eine Hilfe, aber er ist wahrlich kein Garant dafür, die eigene mystische Seite zu entwickeln. Wer es erkennt, erkennt es überall, wer es nicht erkennt, der wird es auch im Kloster nicht erkennen. Dir eine gute Zeit! David

  • Lieber Bruder David, vielen Dank für den angeleiteten Exkurs in einen inneren Raum. Ich fand mich gerade in der Kathedrale in Palma de Mallorca wieder????. Eine gute Zeit, Susanne Wehrmaker

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Abonniere unseren Klosterbrief!

    Der Klosterbrief kommt zweimal im Monat heraus und infromiert über unsere Klostergemeinschaft, unsere Veranstaltungen, Gottesdienste und gibt Impulse zum spirituellen Leben.
    Datenschutzerklärung

    >