Faulheit

Lob der Faulheit

Ja, es ist Sommer und es ist Zeit für den Urlaub – für Faulheit. Wir setzen uns an den Strand, schauen von der Bergspitze ins Tal, genießen Ausblicke und Einblicke, sitzen in den Cafés der Stadtplätze, bleiben länger liegen, gehen Essen anstatt selber zu kochen und einfaches Dasitzen hat Hochkonjunktur.
Das Lob der Faulheit siegt wieder über unseren Alltag und über unser Beschäftigtsein zu den anderen Zeiten des Jahres. Ich lese, dass Faulheit der mangelnde Wille, aktiv zu sein bedeuten soll. Wer faul ist, wird nicht selten beschimpft, man geht seinen auferlegten Aufgaben nicht nach, ist nicht produktiv, der Gesellschaft nicht dienlich. Faul zu sein ist ein Schimpfwort.
Dürfen wir überhaupt faul sein? Ist Fleiß nicht ein viel konstruktiverer Wert, der uns und die Gesellschaft weiterbringt?

Faulheit und Glaube

Schon die Wüstenväter und -mütter und die vielen anderen Mönche kannten den Begriff der “Trägheit des Herzens”. Der Fachterminus dazu heißt Acedia. In anderen Schriften auch der Mittagsdämon genannt, der aktiv wird, direkt nach dem Mittagessen, wenn die Hälfte des Tages vorbei ist und wir müde werden. Daher war es für diese weisen Frauen und Männer wichtig, dem Drängen der Acedia nicht nachzugehen und das Bett zu meiden, nicht es aufzusuchen. Und die von Max Weber beschriebene protestantische Ethik legt großen Wert auf den Fleiß, der ein Zeichen für ein gottgefälliges Leben ist. Zu der Zeit gab es den Begriff Freizeit noch nicht, geschweige denn das, was wir heute Freizeitindustrie nennen. Das sind erst Blüten der Moderne und der Veränderung unserer Arbeitsprozesse.
Dürfen wir faul sein? Möchtest Du faul sein? Nicht nur in den zwei oder drei Wochen Deines Urlaubs, sondern grundsätzlich?

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Faulheit und Motivation

Manche Menschen sind faul und können kaum anders. Denn Faulheit hat auch etwas mit Motivation zu tun und mit der Bildung eines Willens, etwas in Angriff zu nehmen. Ja, es gibt Menschen, die keine Motivation entwickeln können und auch solche, die nicht in der Lage sind, etwas zu wollen. Sie sitzen da, können nicht aufstehen und produktiv sein, nicht einmal das Bett verlassen können sie. In einer extremeren Form sind es depressive Menschen. Faulheit kann eine Krankheit sein. Aber was ist schon Krankheit? Es ist eine gesellschaftliche Vereinbarung.

An unserer Pinnwand in der Küche hing lange Zeit ein Cartoon mit der Unterschrift: Lieber meditieren als nur dasitzen und nichts tun. Vielleicht ist ja auch Meditation nur ein Ausdruck von Faulheit? Oder bist es ein Ausdruck des berechtigten Wunsches, jenseits von Produktivität einfach nur da sein zu dürfen, ohne Leistung?

Faulheit macht kreativ

Der moderne Computer wurde ja auch deshalb erfunden, weil jemand zu faul war, es mit Stift und Zettel zu errechnen. Und wir wissen, die fortschreitende Automatisierung, der vermehrte Einsatz von Robotern und die digitale Revolution wird es mit sich bringen, dass wir die Faulheit lernen müssen, dass wir sie kultivieren müssen. Wer auf Fleiß getrimmt ist, der wird es vielleicht in Zukunft schwer haben, wenn die Faulheit zum täglichen Brot wird – die verordnete Faulheit.
Doch selbst dann betreten wir die Laufbänder, treten in die Fahrradpedalen. Ohne auch nur einen einzigen Zentimeter voran zu kommen, machen wir Yoga-Kurse, Zumba, Zirkeltrainings, heben Gewichte und treten, ziehen, heben, drücken, was das Zeug hält. So wird Freizeit, wird die faule Zeit wieder mit Fleiß durchsetzt. Und alles ist gut.

Lohn der Faulheit

Dem heiligen Benedikt war Müßiggang zuwider – er entsprach damit der Überzeugung der schon erwähnten Wüstenväter und -mütter.
Aber vielleicht ist zu viel Fleiß auch nicht gerade das, was uns zum Heil gereicht. Die Dinge ruhen zu lassen, sich entwickeln lassen, nicht eingreifen – das sind doch auch Werte und nicht notwendigerweise erfolglose. Es sind sogar Werte der ersten Mönche – man nennt es kontemplativ oder eben – ich erwähnte es schon – meditativ.
Natürlich ist es wie immer so: es braucht den Wechsel, es braucht den Ausgleich. Wir sind Wesen, die immer wieder die Homöostase suchen, das Gleichgewicht. Wir sollten daher tatsächlich die Faulheit loben, sie gebiert den Fleiß und wir sollten den Fleiß loben, weil er die Faulheit gebiert. Man verdient sich nicht die Faulheit durch Fleiß, sondern der Fleiß wird genährt durch unsere Faulheit und der Fleiß macht es erst möglich, unsere Faulheit wirklich zu genießen.
Außerdem – man denke an die Erfindung des Computers – werden manche Probleme nur durch Faulheit gelöst. Meistens versuchen wir durch besonders emsige Aktivität Probleme anzugehen. Das mag das eine oder andere mal gelingen. Aber nicht wenige Probleme löst man nicht durch die Vergrößerung unseres Einsatzes, durch besonders emsiges Tun, sondern dadurch, dass wir die Hände in den Schoß legen.

Faulheit und die letzten Dinge

Ja, und letztlich werden wir faul enden. Der Tod ist der faulste Moment unseres Lebens – wenn man von Leben noch sprechen kann. Der Anfang war es schon – es gibt kaum faulere Menschen, als das paradiesische Leben im Mutterschoß und am Ende werden wir wieder in die Faulheit heimkehren.

Die Faulheit – vielleicht können wir es so verstehen – erinnert uns daran, woher wir kommen und woraufhin wir steuern. Wir kommen aus der Ruhe und kehren wieder heim zur Ruhe – zur ewigen Ruhe, wie wir sie nennen.
Vielleicht ist uns die Faulheit deshalb nicht so geheuer, weil sie uns daran erinnert, was uns blüht.

Doch die ewige Ruhe, die ist bei Gott. Der Himmel ist nicht mehr der Ort der Leistung, sondern der Ruhe. Es ist der Ort der Faulheit – im besten Sinne. Der siebte Tag, an dem Gott im Schöpfungsprozess ruhte, ist vielleicht auch der siebte Himmel.
So kann Faulheit, in diesem Sinne verstanden, auch Vorbereitung auf das sein, was danach kommt.

Ich wünsche Dir eine ganz faule Zeit!

Bruder David


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Kommentare

  • 🙂 Faulheit, wundervolles Thema. Dazu fällt mir die Übersetzung von „Sünde“ als „Zweckrationalität“ ein, so genannt von einem evangelischen Mönch.
    So gesehen leben wir wirklich in einer „sündigen“ Gesellschaft: alles muss einem Zweck dienen, alle müssen immer nützlich sein, um jederzeit fleißig die Erwartungen der Leistungsgesellschaft zu erfüllen. Das Gegenteil von Sünde in diesem Sinne wäre dann die Zweckfreiheit, und somit auch die zweckfreie Muse oder Faulheit. Und aus ihr kann dann vielleicht umso lebendiger eine kreative, sinnvolle Tätigkeit erwachsen, wo Fleiß dann einen guten Sinn erfüllt. Nicht aus besessenem Leistungswahn sondern aus Freude am Tätigsein, am Gestalten der guten Schöpfung, aus Liebe zum Dienst für die Menschen.
    So geht es nicht um ein entweder oder, entweder Fleiß und Leistung oder Faulheit und Muse, sondern um ein sowohl als auch, in einem ausgeglichenen Wechsel, um ein sich gegenseitiges Gebären.
    pace e bene michael 🙂

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