Der Sprung über die Mauer

Mit meinem Gott über springe ich Mauern (Ps 18)

Bei meinem letzten Spaziergang mit der fast fünfjährigen Josephine in die Innenstadt von Hannover wurde kein Kanaldeckel und keine Schachtabdeckung ausgelassen: Mit Anlauf sprang sie über jeden Deckel. Besondere Freude hatte sie an den großen und den doppelten Abdeckungen. Und dadurch war ich natürlich gefragt. An meiner Hand konnte sie viel größere Sprünge machen – ich konnte sie nach dem Absprung noch ein bisschen nach oben ziehen  – und ich konnte auch für eine weiche Landung nach großen Sprüngen sorgen. Das habe ich natürlich gerne getan  – und mitgespielt. Manchmal musste ich selber mitspringen, damit wir zusammen blieben.

Das schnelle Wechselspiel der Muskelkontraktion

Und natürlich denke ich über das Springen nach: Wann bin ich das letzte Mal so richtig gesprungen? In meinem Alter springt man nicht mehr so leicht. Das Körpergewicht ist größer, der Trainingszustand schlechter, Muskeln, Gelenke und Bänder nicht mehr so geschmeidig  –  und damit die Verletzungsgefahr nicht gering. Springen ist eine ganz besondere Fähigkeit vieler Lebewesen. Eigene Trainingsformen haben sich entwickelt, die sogenannten plyometrischen Übungen trainieren das schnelle Wechselspiel von Zusammenziehen der Muskelkontraktion und Ausweiten der Muskelkontraktion. Damit erreichen wir eine höhere Explosivkraft.

Jump-Squats sind voll im Trend, sie trainieren nicht nur die Gesundheit, sie schütteln im wahrsten Sinn den Springenden durch. Wer einmal einige Zeit auf einem Trampolin gesprungen ist, kennt diese Erfahrung. Die Schwere und Bodenhaftigkeit des Körpers ist ein Stück anders geworden. Die Schritte nach dem Springen sind andere, der Blick ist ein anderer geworden.

Mit meinem Gott über springe ich Mauern.

An Ostern denke ich natürlich auch an den Vers im Psalm 18: Mit meinem Gott überspringe ich Mauern. Was hat sich der Beter vor so vielen hundert Jahren darunter vorgestellt? Die Eroberung einer Stadt, die Flucht aus der Gefangenschaft? Ich denke an den Spaziergang mit Josephine – manchmal möchte ich auch größere Sprünge machen – höher und weiter – und trotzdem sicher lande. In den letzten drei Wochen war ich mehrfach mit dem Tod lieber Menschen konfrontiert. Da spüre ich eine solche Mauer.

Wenn das Herz wagt, zu springen

Hat das Springen damit etwas zu tun? Für mich ja. Springen ist etwas Österliches. Und auch wenn ich  – meinem Alter angemessen – eher etwas besonnener hüpfe als große Sprünge wage wie Josephine, es verändert den Körper, die Muskeln und die Gedanken. Die große Kraft und Energie, mit der ich den alten Standpunkt verlasse und mich auf einen neuen, möglichst weit entfernten Standpunkt hin bewege, belebt den Körper ungemein. Søren Kierkegaard spricht in Bezug auf den Weg eines Christen vom Sprung in den Glauben. Jeder Sprung, der nicht nur ein sicheres Hüpfen auf der Stelle ist, ist immer auch ein Wagestück des Herzens.

Ich freue mich wieder, von Dir zu hören, ob Du vielleicht ähnliche österliche Sprünge in Deinem Leben schon gemacht hast.

Bruder Karl-Leo


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