15/08/2017

Bitte berühren!

Mit Feingefühl vom Handschlag zum Händchenhalten…

Wo gibt es denn so etwas, ein Schild mit der Aufforderung: „Bitte berühren“? Vielleicht auf einem Erlebnispfad im Wald oder in einem Kinderspiel. Viel häufiger begegne ich in meinem Alltag Schildern mit der gegenteiligen Aufforderung: „Bitte nicht berühren“. In unserer Gesellschaft ist die Berührung mit der Hand als Form der Begrüßung etwas ganz Normales. Üblicherweise berühren wir uns mit den Händen, mit den Handinnenflächen zur Begrüßung. Und auch bei näheren oder intimeren Formen der Begrüßung wie der Umarmung oder dem Kuss ist es üblich, dass ich zunächst mit der Hand mein Gegenüber berühre.

Muss ich mich schützen?

Die Innenflächen der Hand gehören bei uns Menschen zu den besonders differenzierten Arealen für die Sinneswahrnehmung. Im groben Bereich wird in der Berührung sofort entschieden, ob irgendeine Bedrohung vorliegen kann. Die Mediziner sprechen von der protophatischen  Wahrnehmung. Dies sind insbesondere Meldungen der Temperatur und des Schmerzes, wie bei einer heißen Herdplatte oder einem scharfen Gegenstand. Mit der Wahrnehmung kann ich entscheiden, ob ich meine Hand und meinen Körper besser schützen muss. Etwas feiner betrachtet passiert dies auch schon im Händedruck zur Begrüßung. Von vielen Menschen, die ich regelmäßig treffe, kenne ich den Händedruck. Und bei Menschen, denen ich neu begegne, ahne ich im Moment des ersten Händedrucks, ob von dieser Begegnung eher Gefahr oder eher Verbindendes ausgeht.

Feingefühl macht den Weg frei

Aber wenn meine Handinnenflächen gemeldet haben, dass ich mich nicht schützen muss, können die gleichen Areale auch viel feiner wahrnehmen. Es ist das epikritische System, das mein Feingefühl ermöglicht. Da gibt es die Meissnerschen Körperchen in der Haut, die leichte Berührungen wahrnehmen, die Pacinikörperchen, die großflächige Berührungen und den Druck wahrnehmen, weitere Zellen melden den exakten Ort und Unterschiede in der Temperatur. Wenn die Berührung etwas länger dauert, kann der Körper auf diese feine Wahrnehmung umschalten. Es beginnt eine Berührungswahrnehmung und eine Erkundungswahrnehmung, die dann viele Millionen Reize sofort ans Rückenmark und ans Gehirn weiterleitet.

Glück der Berührung

Darum passiert so viel, wenn sich zwei Menschen an den Händen halten oder „Händchen halten“, wie wir es in der Alltagssprache sagen. Leider ist diese Verniedlichungsform meiner Meinung nach nicht wirklich treffend für das, was dann alles in uns vorgeht. Auf die Länge der Zeit kommt es dabei gar nicht an. Schon wenige Augenblicke, in denen die beiden, die sich berühren, wirklich im Feingefühl sind, können ausreichen, um mit ihren Reizen den Muskeltonus und das Wohlgefühl im ganzen Körper zu verändern. Üblicherweise reduziert sich sehr schnell der Cortisolspiegel im Körper, wir fühlen uns weniger gestresst, ebenfalls wird Oxytocin freigesetzt, das manchmal gerne als Kuschelhormon bezeichnet wird und in uns das Gefühl von Glück und Geborgenheit stärkt.

Und auch wenn manche Zeichen und Berührungen sicherlich der intimen Partnerschaft vorbehalten bleiben mögen, schenkt es ganz viel Kraft im Alltag, wenn es mir gelingt, in Begegnungen an passender Stelle dieses Feingefühl meiner Hand zu ermöglichen.

Bis Weihnachten möchte ich der Kostbarkeit von Berührung in unseren Begegnungen nachgehen. Ich freue mich, von Deinen Erfahrungen mit dem Feingefühl in der Hand und allem, was daraus für Dich entsteht, zu lesen.

Bruder Karl-Leo


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Kommentare

  • Lieber Bruder Karl-Leo,

    ich habe Deinen Beitrag mit viel Aufmerksamkeit gelesen und es hat mich beeindruckt, wie differenziert und mit welchem Hintergrundwissen Du an das Thema “Berührung” herangehst. An die ganz auffälligen Reaktionen “jemand erdrückt mich” oder “ich spüre jemanden fast gar nicht” können wir uns erinnern. Auch an die Menschen, die uns “mit ganz feuchten Händen” begegnen. Und das Zusammenspiel zwischen dieser “Berührung” und den übrigen Körperreaktionen einschließlich der Gestik und Mimik stellt oft auch einen ersten und entscheidenden Eindruck des Kennenlernens einer Persönlichkeit dar.
    Nach dem Studium Deines Beitrags werde ich möglicherweise in der nächsten Zeit achtsamer mit dem mir entgegengebrachten Händedruck umgehen. Und vielleicht werde ich auch mehr darauf achten, wie ich den Menschen begegne. Denn letztlich ist es ein Zusammenspiel zwischen zwei Menschen das Harmonie oder Disharmonie erzeugt.
    Dein Beitrag zeigt, es liegt so viel Entscheidendes in der Welt des Unbewussten. Der Körper reagiert, obwohl der Verstand gar nicht bewusst wahrgenommen hat.
    Die Zeilen haben mich berührt!
    A n d r é a s G r o ß e, K ö l n

  • Manchmal schaue ich die Hände von Menschen an und bin sicher, dass diese Hände richtig berühren können. Achtsam und freundlich, aber nicht zaghaft, entschlossen, ohne zu vereinnahmen, fühlend ohne zu fordern.

  • Lieber Bruder Karl-Leo, ich habe gerade erst eueren Blog entdeckt und habe Lust, gleich auf Deinen Artikel zu reagieren… Für mich ist das größte Erlebnisfeld an Berührung seit Langem der Tango. Dort erlebe ich eine ganze Sinfonie der Berührung. Die immer so beginnt, dass ich mit meiner linken Hand nehme ich die rechte meiner Partnerin nehme, und mit meiner rechten Hand ihren Rücken berühre. Dieser Kontakt allein ist schon ein schönes Erlebnis beim Tangotanzen. Wenn wir aber die “geschlossene” Umarmung wählen, dann berühren wir uns zudem im Brustraum und spüren einander sehr stark, bis in den Atem hinein. Zusätzlich kann es auch zu einer Berührung Wange an Wange kommen. Diese Reichhaltigkeit der Berührung verschönt mein Leben. Für mich ein kostbares Geschenk, immer wieder. Es gibt so viel Distanz im Alltag. Hier wird sie auf das Schönste überwunden, immer wieder neu, im innigen Nehmen und Geben.

    • Lieber Eckhart, ja es ist wirklich faszinierend, was in unserem Körper alles in diesen “kleinen Berührungen” passiert – vor allem dann, wenn man für die Wahrnehmung offen ist. Danke!

  • Der Beitrag hat mich erinnert an eine Übung vor rund dreißig Jahren im Rahmen einer Selbsterfahrungsgruppe, die darin bestand, dass sich die Menschen in der Gruppe mit geschlossenen Augen “begegneten” nur durch das Berühren der Hände und das Achten auf die Stimme. Mir ist dabei bewusst geworden, was ich alles wahrnehme, wenn ich mich nicht von dem, was meine Augen sehen, beeinflussen lasse. Und indem ich das schreibe, fällt mir Antoine Saint-Exupéry ein: “Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar”. Genau das habe ich damals empfunden!
    Vielen Dank für diesen anregenden Beitrag.

  • Die Hände und das durch sie erst mögliche Berühren, Tasten, Spüren und Greifen und – im Grunde nicht nur bei kleinen Kindern – Begreifen sind es mehr als wert, in einem Artikel und im Austausch darüber gewürdigt zu werden. Deshalb, lieber Karl-Leo, hab vielen Dank für dieses Thema. Die umfassende Bedeutung wird einem meist dann richtig bewusst, wenn man eine Hand nur eingeschränkt nutzen kann. Die Vielfältigkeit der Berührungen beim Handgruß, beim Handauflegen auf Hand, Arm oder Schulter, oder durch das Umfassen der Hände des Gegenübers mit beiden Händen, um zu beruhigen oder zu trösten, … zeigt mir eigentlich auch sehr deutlich, dass unsere Sprache ohne die Hände/Gesten um einiges ärmer wäre. Wie groß die Bedeutung ist, kann man sich auch gut in den Homunculus-Darstellungen ansehen: Dort nehmen die Hände sowohl in den sensorischen wie auch den motorischen Bereichen der Großhirnrinde eine sehr großen Fläche ein. Beim Schreiben dieses Kommentars kam mir der Gedanke, ob dieses Thema nicht einmal Gegenstand einer Meditationsveranstaltung sein könnte …
    Herzliche Grüße Renate

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