Seit ich diesen Satz vor vielen Jahren das erste Mal bewusst aus dem Mund eines Hals-, Nasen- und Ohrenarztes gehört habe, verwende ich ihn selber gerne gegenüber meinen Patienten in der Praxis. Veränderungen der Stimme im Alter gibt es viele, und es ist für uns selbstverständlich, dass wir auch am Telefon, also allein über den Klang der Stimme, das Alter eines Menschen relativ gut einschätzen können. Eine alte Stimme klingt anders als eine junge Stimme. Zunächst entwickelt sich die Stimme in Lautstärkeumfang und Kraft. Später verliert sie die Höhe oder die Lautstärke, das Vibrato wird größer und vielleicht unsymmetrischer: Klangeindrücke, die in unserer Gesellschaft nicht positiv konnotiert sind. Aus guten Chören wird man dann zuweilen aussortiert, darf möglicherweise noch in die Seniorenkantorei wechseln, wenn man nicht sowieso schon in einem Chor ist, in dem man „mitaltert“.
Altwerden ist keine Krankheit – aber manchmal fühlt es sich so an. Manche natürlichen
Veränderungen des Alters sind kaum zu unterscheiden von einer Krankheit, die vielleicht nach einiger Zeit auch wieder weggeht. Und manchmal zeigt sich Altern gerade darin, dass man nach einer Krankheit nicht mehr den Level an Leistungsfähigkeit erreicht, den man vor der Krankheit gehabt hat. Gleichzeitig ist der Alterungsprozess kein linearer, er lässt sich durch Training aufhalten, aber ist auch zutiefst individuell, manchmal dabei absolut unerbittlich und ungerecht in seinem plötzlichen Auftreten.
Die Freude der Abendsonne
Im Urlaub setze ich mich gerne einmal in die Abendsonne und betrachte den Sonnenuntergang. Gerade nach einem erfüllten Tag mit einer längeren Wanderung oder Radtour ist das ein wunderschöner Abschluss. Daran muss ich manches Mal denken. Im Urlaub gelingt es mir wohltuend, Abende so entspannt ausklingen zu lassen – freudig und stolz über meine müden Knochen und Muskeln.
Könnte es im Leben genauso sein? Der heilige Benedikt ordnet den Tag ähnlich wie das Leben: Das erste Viertel ist für das Lernen der Psalmen bestimmt, dann vor und nach dem Mittag zwei Viertel des Tages für die Arbeit, und dann noch ein Viertel für die Ruhe. Die alten drei Gebetszeiten der Terz. Sext und Non markierten den Wechsel von der einen in die andere Phase. …
in die bloße Wirklichkeit
Ja, ich gebe gerne zu: Das milde Abendlicht meines Lebens genauso freudig anzuschauen wie die Abendsonne im Sonnenuntergang an Urlaubstagen, muss und darf ich noch was üben. Hoffentlich bin ich noch jung genug, um das Altwerden üben zu dürfen. Der Philosoph Wilhelm Schmidt spricht beim Älterwerden von einer „Erosion des Könnens in die bloße Wirklichkeit.“ Dinge und Ereignisse werden schön und bedeutsam nicht durch Leistung, sondern durch ihr Sein.
Dabei muss ich wieder an die Stimme denken. Manche Gesänge höre ich lieber, wenn sie von einer alten Stimme gesungen sind. Ganz besonders denke ich an ein Lied, das wir am Abend vor unserer Profess, dem feierlichen Klosterversprechen, im Nachtgebet singen. Es ist ein Text aus dem Buch Jesus Sirach, der mit den Worten beginnt: „Mein Sohn, wenn Du dem Herrn dienen willst, dann sei
auf Versuchung gefasst.“ Ich erinnere mich gut, wie unser mittlerweile verstorbener Pater Michael diesen Gesang noch in vorgerücktem Alter mit brüchiger und zitternder Stimme vorgesungen hat.
Die Gestaltung des Lebens gelingt uns durch die Begrenztheit
Das war für mich so anrührend, weil die Echtheit des gesamten Lebens mit allen Facetten in mir deutlich wurde. Heute verstehe ich noch mehr von dem, was ich damals nur intuitiv erahnte: Die Gestaltung des Lebens gelingt mir nur durch die Begrenztheit. Nur, weil nicht mehr immer alles möglich ist, bin ich herausgefordert und angetrieben, das Notwendige, das Sinnvolle und das Erfüllende des Lebens zu suchen und zu tun.
Jedes kleine Zeichen des Älterwerdens, jedes Können, das nicht mehr wie früher verfügbar ist, hilft mir, in der Selbstfreundschaft einen Schritt weitergehen zu können. Manchmal mühsam, manchmal schmerzlich, manchmal trauernd – zum Glück aber oft auch schon dankbar und gelassen….
Und ich freue mich wieder, von Dir zu hören über Deine Abendsonne des Lebens….
Danke, lieber Karl-Leo, für diese aufmunternden Gedanken. Ich werde jetzt 82 und habe viele deiner Überlegungen schon hinter mir; aber sie und weitere sind stets aktuell.
Schön, dass du in deinem relativ jungen Alter schon an das Unvermeidliche, aber auch Schöne des Älter- und Altwerdens denkst. Das ist auch eine Ermutigung für jene, die sich schwertun mit dem eigenen Älterwerden.
Liebe Grüße! Wolf-Dieter