09/11/2022

Wörterbuch der Spiritualität

Wunde:   [ˈvʊndə]
Defekt des schützenden Deckgewebes

Jeder Mensch trägt eine Art Urwunde mit sich herum, eine schmerzende Stelle in sich, die immer wieder zu spüren ist. Vermutlich gibt es keinen Menschen, der nicht in irgendeiner Art und Weise verwundet wurde. Diese Wunde kann sich in Süchten, in innerem Abstumpfen, Gefühllosigkeit und in Gewalt und Depression äußern. 

Darin aber ist sie uferlos und bekommt nie genug, was das Wesen einer jeden Sucht ist. 

Ich bin kein Freund der Vorstellung einer Erbsünde, das hat für mich einen sehr üblen Nachgeschmack. Zu viele Theologen haben schon versucht, diese Erbsünde so zu begründen, dass es auch uns Heutigen einsichtig wird. Aber es bleibt doch schwierig, eine Schuld zu haben, die man nicht zu verantworten hat.

Die Urwunde ist anders, wir werden damit nicht geboren, uns wird sie zugefügt. Vielleicht ist es dieser innerer Zustand zwischen dem, was wir intuitiv wissen, wie es sein könnte, zu dem, wie diese Welt, die Menschen um uns herum und wir selber sind.

Und so wird diese Wunde zu einem spirituellen Phänomen. Wir können Therapien machen bei den besten Therapeuten, können Seminare besuchen und doch bleibt oft ein Restschmerz übrig. Und es kann sein, dass dieser auch nicht mehr weggeht. Dann kommt eine spirituelle Haltung ins Spiel, die Haltung des bewussten Leidens.

Ich weiß, bewusst zu leiden, das klingt zunächst komisch für uns Heutige. Aber lassen wir uns davon nicht abschrecken. Es geht natürlich nicht um Masochismus und um schmachtendes Siechen. Es geht darum, das, was nicht zu ändern ist, innerlich stehend für diese Welt  zu tragen, uns nicht davon runterziehen zu lassen, sondern uns aufrichten zu lassen.

Und wir dürfen uns sicher sein, dass ein solches “Leiden” etwas ist, was in dieser Welt etwas bewirkt – auch wenn niemand davon weiß.

David Damberg


das könnte Dich auch interessieren:

Kommentare

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Abonniere unseren Klosterbrief!

Der Klosterbrief kommt zweimal im Monat heraus und infromiert über unsere Klostergemeinschaft, unsere Veranstaltungen, Gottesdienste und gibt Impulse zum spirituellen Leben.
Datenschutzerklärung

>