Aus Psalm 49: Lass dich nicht beirren, wenn einer reich wird und die Pracht seines Hauses sich mehrt; denn im Tod nimmt er das alles nicht mit, seine Pracht steigt nicht mit ihm hinab.

Vorweg: Bislang hatte ich passiver Christenmensch mit den Psalmen nichts am Hut. Dass der Herr mein Hirte sei und es den Seinen im Schlaf gibt, geschenkt. Selbst damals, in meiner aktiven Katholiken-Phase vor sechzig/fünfundsechzig Jahren, rezitierten wir Ministranten – bevor wir richtig Deutsch sprechen konnten – zwar fließend lateinische Gottesdienst-Texte …Psalmen spielten damals jedoch so gut wie keine Rolle. Das änderte sich schlagartig, als ich zur Jahrtausendwende das Buch „Die Menschen lügen. Alle“ in die Finger bekam. Diese packende Psalmen-Übertragung verfasste Arnold Stadler, der 1999 den Büchner-Preis erhielt und den ich, der zehn Jahre älterer Dorfjunge, per Fahrrad vom Kindergarten abholen musste, besser gesagt: abholen durfte.

Jetzt erst ging mir ein Psalmen-Licht auf. Schnell wurde mir klar, dass diese feinen wie auch mitunter derben Verse letztendlich großartige Dichtung, pure Poesie und ein ideales Ventil sind, um „Dampf abzulassen“. Und wenn ich diese leidenschaftlichen Hilferufe, wütenden Zornesausbrüche, grausamen Rachegedanken, ekstatischen Jubel- und Lobgesänge – ohne sie lange zu hinterfragen – laut lese, schreie, brülle, singe oder flüstere, besteht bei mir so etwas wie Suchtgefahr. Bin ich wieder herunter gekommen, entdecke ich in diesen 3000 Jahre alten Versen meine persönlichen Sorgen, Ängste und meine Unzufriedenheit. Ich erschrecke über meinen egoistischen Wunsch, ein starker, gerechter, strafenden Gott möge alle Übeltäter bestrafen …und mich bevorzugen. Ich erkenne meine Widersprüche – aber auch meine Lebenslust und eine Möglichkeit, meine Glücksgefühle in Worte zu fassen. Unterm Strich sehe ich die Frage: „Was ist der Mensch?“ und gleichzeitig die Antwort: „So ist der Mensch!“

Das ist auch der Grund, warum mich bei den Psalmen der menschliche Aspekte viel mehr interessiert als der theologische. Nichts gegen den Glauben an einen Allmächtigen. Nichts gegen Friedensgebete. Gott entfesselt weder Kriege noch stiftet er Frieden. Wir Menschen haben/hätten es ganz allein in der Hand. Das – jetzt komme ich endlich zu meinem ausgesuchten Vers – fängt an mit unserer im gesellschaftlichen System manifestierten Gier nach Mehr. Mehr Geld, mehr Wachstum, mehr Macht. Ein größeres Haus, ein noch größeres Auto, das neueste Smartphone, die teuerste Kreuzfahrt, die angesagtesten Klamotten und so weiter und so fort…  Mir fällt bei dem Vers auf, dass der Psalmist Reichtum per se nicht verdammt wie z.B. Jesus, der eher ein Kamel durchs Nadelöhr schlüpfen lassen möchte als einen Reichen in den Himmel. Möglicherweise gab es damals schon unter den Reichen auch gute Menschen, denen bewusst war, dass Reichtum auch verpflichtet. Er warnt dich lediglich eindringlich: Lass dich nicht beirren, werde nicht neidisch, werde nicht unzufrieden, wenn dein Nachbar jetzt auch noch einen Swimming-Pool seiner Villa beifügt und eine neue Garage baut, um seinen neuen protzigen SUV angemessen unterzubringen. Auch wenn dein Nachbar es möglicherweise verdrängt, du weißt, dass ein Grab zu klein ist, um einen Swimming-Pool und ein Edelauto aufzunehmen. Da hat allerhöchstens ein Sarg oder eine Urne Platz.

„Das Leben ist kurz und schmerzlich. Einmal das Dorf hinauf und hinunter. So sind wir unterwegs.“ (Stadlers Psalm 90) In diesem kurzen Leben stehen wir immer mal vor der Frage: Was ist uns wichtiger, ein reiches Leben oder ein Leben in Reichtum? Die Antwort steht in Psalm 90: „Lehre uns unsere Tage zu zählen, daraus werden wir gescheit – und unser Herz wird weise.“

 

Pressefoto Erwin Schütterle 2

Erwin Schütterle
am 17.7.1944 in Meßkirch (Baden) geboren
seit 1974 wohnhaft in Hannover
Postbeamter, dann leitender Vertriebsmanager in einem großen Verlagshaus, dann Gründung und 27 Jahre lang Betrieb der Wein- und Konzertstube KANAPEE, zum Schluss: 5 Jahre Geschäftsführer des FREUNDESKREIS HANNOVER e.V. und bis heute Kolumnenschreiber für das hannoversche Magazin STADTKIND
Foto: Margret Ulbrich

 

 

Bruder David


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Kommentare

  • Einen schönen gemütlichen guten Abend :O) Ich erlebe es immer wieder bei mir z. B. im Verwandtschaftskreis das die Menschen versuchen irgendwelche Defizite übers Materielle auszugleichen. Nur zufriedener wirken sie dabei nicht wirklich. Sie brauchen immer wieder neue Sachen die sie sich kaufen und die Freude daran hält nur kurz, denn die wirklich wichtigen Dinge im Leben, kann man sich nicht kaufen. Freude, Glück, Zufriedenheit, Dankbarkeit, Freunde, Gesundheit…aber das sehen manche leider nicht.

    Ganz lg Conni

    • Die Lust auf Materie hat Suchtcharakter. Es ist als wenn man wegen großen Hungers etwas essen würde, was einen nie sättigt. Man wird immer Neues essen müssen in der Hoffnung, nun endlich satt zu werden.Gruß, Bruder David

      • Ich finde wenn man die kleinen Dinge des Lebens geniesst z. b. wie ich letzte Woche einen Ausflug mit Freundinnen nach Bad Pyrmont Schlossparkbummel und essen beim Italiener und das auch noch auf einen Nds. Ticket. Das hat uns alle so glücklich gemacht. Ich finde dieses Gefühl viel beglückender…oder ein Picknik am See, Fahrradtour, sonnen, in einem Cafe sitzen…erfüllt auch und ist dazu noch viel füllender als teure Sachen. lg Corinna und ein schönes WE

  • Hallo,
    für kurze Zeit sah es so aus, als sei das Zählen bei mir bald nicht mehr notwendig, eine gewaltige Lehrstunde. Mancher Psalm kann deutlich schmerzfreier lehren, sofern wir bereit sind sie zu hören.

    ein schönes Wochenende
    Bernhard

    • Ja, das stimmt! Es wird nur hören, wer ein offenes Herz und offenen Geist hat. Wie gut, dass es sich für dich offensichtlich wieder lohnt zu zählen! Gruß, Bruder David

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