Wir erleben es ja derzeit an jeder Stelle unseres Alltags. Im Handwerk ist es eine echte Katastrophe: Es fehlen Menschen, die mit uns zusammen die Aufträge verrichten, sie fehlen ebenso im medizinischen Bereich und nach oder vielleicht besser in der Pandemie fehlen sie in allen Dienstleistungsberufen. Und die Menschen wandern aus unserer Kirche ab. Daher möchte ich heute in der Predigt diesem Zusammenhang einmal nachspüren. Was steckt eigentlich dahinter? Und wie können wir Menschen erreichen, sich für ein Ziel, für eine Aufgabe oder gar für eine Institution einzusetzen.
Beruf als Verdienen des Lebensunterhaltes reicht dabei schon lange nicht mehr aus. Gerade die Jüngeren fragen anders, wollen das eine mit dem anderen verbinden. Daher stelle ich mir eine der originären kirchlichen oder religiösen Fragen schlechthin: Was ist Berufung?
Eine Frage, die heutzutage Menschen anspricht, die mehr vom Leben erwarten, als das tägliche Einerlei. Menschen, die suchen, Menschen, die mit dem „Es ist schon immer so gewesen!“ nicht einverstanden sind - sie sind Motoren für den Glauben, aber auch für die Gesellschaft und für viele Berufe. Beruf hat nämlich mit Berufung zu tun, das sagt schon das Wort.

Was kann nun Berufung für jederMANN und jederFRAU sein?
Menschen, die aus einer Berufung leben, sind Menschen, die sich im tiefen Sinn des Wortes „ent-schieden“ haben. Sie haben die Trennung – die Scheidung zwischen sich und einer Sache, einem Menschen, einer Tätigkeit aufgehoben und sie haben sich eingelassen. Wer das wagt, der bekommt ein Geschenk, nach dem sich viele sehnen.
Wer sich für etwas entscheidet, der bekommt Zugehörigkeit und Heimat geschenkt. Wer sich nie entscheidet, der bleibt letztlich allein und irrt wirklichkeitslos durch die Welten der schier unerschöpflichen Möglichkeiten. Berufene haben sich entschieden, sie haben eine Antwort gewagt. Das wäre dann auch die Schrittfolge: Wer in Resonanz geht, wer einem Ruf folgt, der wird vom Gerufenen zum Berufenen. Der Mensch ist letztlich immer gebunden. Nur in den Momenten, in denen er eine Entscheidung für etwas trifft, ist er „wirklich“ - also hinsichtlich schaffender Wirklichkeiten - frei. Der Berufene ist dann nicht mehr der in sich selbst verkrümmte Mensch, sondern Berufene sind Persönlichkeiten, die auf anderes oder andere hin leben können.


Folglich heißt Berufung die Einladung, etwas nicht nur zu tun oder zu verrichten, sondern es im biblischen Sinn mit ganzem Herzen mit ganzer Seele und mit ganzem Sinn zu tun. Nicht die Angst, nicht der Zweifel, nicht die Enge haben das letzte Wort, sondern Berufenen ist das Handeln aus dem Herzen Kraft und Zuversicht. Damit sei nicht gemeint, dass es kein Dunkel, keinen Schmerz und keinen Verlust gibt. Man räumt ihnen nur nicht dauernden Platz ein, weil ein Herz, das sich gerufen fühlt, elastisch im Winde wogend aushalten kann. Starre und Verharren im Schmerz bedeutet doch letztlich: den Schmerz vermeiden zu wollen. Weitergehen in der Windung und Überwindung des Herzens heißt, dem Ziel und dem inneren Wort treu zu bleiben. Berufene überwinden das Haltlose nicht etwa, indem alles gutgeredet und Illusionen genährt werden, sondern sie überwindet die Trennung der Welt im wahrsten Sinn des Wortes, wie eine Spirale: Jeder Kreis, den sie zieht ist derselbe aber eben auf einer höheren Ebene.
Gerade angesichts aller Vergänglichkeit wird uns über die Welt hinaus eine Verwandtschaft angeboten, die die Welt und darin alle Vernunft des Menschen übersteigt.

Eine Antwort gegeben zu haben, macht frei von allem täglichen Entscheidungsdruck, es öffnet für das Geheimnis der Berufung schlechthin. Ein Geheimnis ist nicht etwa ein Rätsel. Das sollte man unterscheiden. Das Rätsel vergeht, wenn es gelöst ist. Die Kreuzworträtselzeitschrift wird dann weggetan. Ein Geheimnis wird immer tiefer, je weiter der suchende Mensch in es eindringt und auch: es in sich eindringen lässt. Leben ist in diesem Sinn zu verstehen wie ein Eisberg. 80% sind unter dem Meeresspiegel. Was wir sehen und deuten können, ist nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit, die inmitten aller Endlichkeit überirdische Botschaften transportiert.
Insofern be- oder verurteilt der Berufene den Nächsten nicht, sondern sucht nach Wegen des Verstehens. Das eigene Geheimnis begreifend, seine Tiefe täglich neu auslotend, wird allem Verirrten nachgegangen, weil die Hoffnung immer nur nach Leben suchen kann.

Menschen, die das erspüren, können in so vielen Situationen berufen sein: Zur Arbeit mit den Menschen, zum Einsatz für eine Sache, in der Hingabe an die vielen Situationen des Alltags. Deshalb wage ich es auch, den Begriff weiter zu verstehen und in allen Menschen Gerufene zu sehen, die entweder ihre Antwort schon gewagt haben, sie nicht formulieren konnten oder an ihr arbeiten. Dabei sind auch gegebenen die Antworten nie immer dieselben, sondern sie dürfen sich mit dem Leben wandeln, erweitern oder aber verschieben, auch wenn vielleicht die Essenz, der allem innewohnende Kern gleichbleibt.
Die letzte Antwort nämlich liegt hinter aller Sprache und aller Ausdruckfähigkeit. Wir werden sie im Tod erst vollständig geben und verstehen können, wenn alles andere gesagt und ausgesprochen ist.

In dieser Haltung wird das unaussprechliche Geheimnis von Berufung deutlich: Wir Christen nennen den, der da in allem durch alles ruft „Gott“. Viele Menschen, die leidenschaftlichen Herzens dienen, wissen, dass Ihr Ruf nicht einfach nur von dieser Welt ist, sondern dass der Christus seinen Geist in der Welt strömen lässt, dass sie gerettet werde. Rettung – das kann kein Mensch allein bewerkstelligen. Rettung – das ist das Geschenk der Berufenen. Der Satz ist durchaus in der doppelten Ebene zu verstehen. Berufene werden beschenkt, indem sie schenken.

Wir können am großen Werk, das die Bibel „Reich Gottes“ nennt, mitwirken. Jeder Getaufte ist berufen, seinen Talenten folgend und dem Herzen gehorchend auf dem Weg zu Gott zu sein. Wenn wir es wagen, das voneinander zu glauben, sind wir das immer mehr, wozu wir in Christus berufen sind: Kinder Gottes, um füreinander Schwestern und Brüder zu sein. Geben wir die Antwort nicht nur im Geiste, sondern geben wir sie in der Tat, im menschenfreundlichen Handeln, dann wächst der Mensch tiefer in das eigene Herz und damit tiefer in Gott hinein.
Daraus ergibt sich dann ein Lebensgefühl, das viele Menschen suchen: Zufriedenheit. Nicht Sattheit, nicht alles haben zu müssen ist das Ziel, sondern eine innere Freiheit immer wieder durch diese Endlichkeit schimmern zu lassen. Die Umstände unserer Welt erscheinen uns derzeit dunkel. Die Pandemie lässt uns nicht los, der Krieg verunsichert die Seelen, die Klimakathatstrophe wird immer präsenter. In allem aber ist dieser Welt, die schon Generationen vor uns als im Untergang begriffen erlebt haben, getragen vom Hintergundrauschen einer Liebe, einer Hingabe, eines Gottes, der da ist. Um das immer wieder zu vergewissern, feiern wir das Fest - dieses Jahr wieder zuhause hier in der Cella. Es ist das Fest des Benedictus und der Benedicta, an dem wir uns gegenseitig versichern, dass wir Gesegnete und genau darin Berufene sind.
Seien wir es
Werden wir es
Bleiben wir es.
Jetzt und in der Ewigkeit.
Amen.


P. Abraham Fischer OSB

David Damberg


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