Die berühmte Wolke Sieben, auf der man so gut schweben können soll, ist gefühlt für die meisten Menschen im Moment sehr weit weg. Die Zeit ist dafür zu ernst. Trotzdem erleben sich viele Menschen in dieser Zeit als schwebend – in der Schwebe. Die Freizeitmöglichkeiten sind so stark eingeschränkt, dass darunter auch viele schöne Begegnungen leiden. Das Leben in den eigenen vier Wänden, ob alleine, mit Familie, im Kloster oder wie auch immer, fühlt sich durch den Lockdown oft fundamental anders an als noch vor einem Jahr. In Bezug auf die eigene Arbeit sind die Erfahrungen sehr unterschiedlich: Während die einen nicht arbeiten dürfen und oft um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten, müssen die anderen mehr oder unter extremeren Bedingungen bis an die Grenzen ihrer eigenen Kraft arbeiten.

Wie lange noch?

Wie lange das noch so sein wird, scheint völlig in der Schwebe. Wissenschaftler und Politiker scheinen sich ebenso in der Schwebe zu fühlen, ihre Aussagen werden zunehmend vage. Ich lese, höre oder schaue gerne Nachrichten, aber mir wird immer deutlicher: Sicherheit und Klarheit lässt sich auch dann nicht gewinnen, wenn ich mich umfangreich informiere.

Wenn ich in meinen Therapieraum in der Praxis gehe, sehe ich mein Eutonieholz – eine Art „Wackelbrett“, auf dem man stehen kann. Es ist ein etwa 60 cm langer Baumstamm, der in der Längsrichtung halb durchgeschnitten ist und auf der runden Seite liegt. Wer in seinem Gleichgewicht gut geübt ist, kann auf dem Brett relativ gut stehen. Und meistens klingt dann auch die Stimme besser, wenn man auf dem Eutonieholz eine solche ausgeglichene Position gefunden hat.

Bewegte und bewegliche Muskeln

Mit manchen Menschen übe ich, auf einem solchen Brett stehen zu lernen. Und der wichtigste Hinweis ist immer: Nicht die Muskeln verkrampfen! Sicherheit auf diesem Eutonieholz bekommt man nicht durch festere Muskeln, sondern durch bewegliche Muskeln. Diese Muskeln können sich schnell an die Situation anpassen und können so verhindern, dass ich nach vorne oder nach hinten falle.

Immer häufiger beobachte ich in diesen Tagen Menschen, die große Mühe haben, in den Muskeln beweglich zu sein. Unsicherheit und Angst machen die Muskeln fester – und die fehlenden Möglichkeiten, Sport zu treiben, verschlechtern die Fähigkeit der Muskeln zusätzlich.

Schweben ohne Angst

Müssen wir wieder lernen zu schweben – uns daran zu erfreuen, keinen festen Boden unter den Füssen zu spüren? Ich glaube, es kann uns helfen in diesen Tagen, das Spiel der Muskeln um das Gleichgewicht fröhlich zu üben – und unseren Gedanken davon etwas abzugeben. Tatsächlich erlebe ich, wenn ich mit Menschen eine solche Übung in der Praxis mache, dass sie bereits nach wenigen Minuten einen Stand haben, der sich sicherer anfühlt – und es auch objektiv ist. Muskeln sind verändert, Knochen stehen anders aufeinander. Wichtigste Voraussetzung: wenn man keine Angst hat und die Muskeln beweglich sind. Denn die Angst zu fallen kann sofort die Muskeln wieder festmachen.

Auch wenn das nur ein „künstliches Schweben“ kurz über einem sonst festen Grund ist – es hilft mir, das fröhliche Schweben in diesen Zeiten der Schwebe einzuüben.

Vermutlich bleibt noch Vieles in diesen Tagen in der Schwebe. Und so wünsche ich Dir „fröhliches Schweben“ in diesen schwebenden Zeiten!

Bruder Karl-Leo


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Kommentare

  • Lieber Bruder Karl Leo,
    in dem Text finde ich eher (aus-)balnacieren beschrieben basierend auf einer Übung in Beweglichkeit und in-mir-ruhen. Da steuere und kontrolliere ich mich selbst und bin dann auch für den Erfolg verantwortlich. Fröhlich schwebend beinhaltet für mich loslassen und tragender göttlicher Energie vertrauen. Vielleicht schwerelos gleiten oder sich auf dem Rücken liegend sich vom Wasser tragen lassen. Die Zeit ist dafür nicht zu ernst. Da wegen der Erdanziehungskraft reales schweben mir nicht möglich ist, habe ich gute Erfahrungen mit immaginiertem Schweben gemacht. Ich liebe auch Informationspausen, dann bin ich nicht auf Corona fixiert. Vielen Dank für den inspirierenden Text.
    Liebe Grüße
    Ulrike

    • Liebe Ulrike,
      Danke Dir für Die Rückmeldung. Tatsächlich ist für mich die Bedeutung des Wortes schwebend mit balanciert sehr verwandt – aber es ist eine schöne Anregung, auch den möglichen Unterschiede (vielleicht besser: den unterschiedlichen Akzenten) von “balanciert” und “schwebend” in Gedanken nachzugehen.
      Liebe Grüße
      Br. Karl-Leo

  • Vor einigen Wochen zog ein Eutonieholz bei mir ein. Ich nenne es manchmal scherzhaft Thomasholz – wer zweifelt, fällt herunter. Wir haben sofort Freundschaft geschlossen, bei der ersten Benutzung fiel ich mal vorne, mal hinten herunter und kam aus dem Lachen nicht heraus.

    Es hat eine Weile gedauert, bis es von selbst seinen Platz gefunden hat – und zwar als Heimweg! Ich arbeite schon mehrere Jahre, nicht erst seit Corona, im Home-Office und mir hat immer der Heimweg gefehlt. An der S-Bahnhaltestelle herumzustehen, nichts groß zu denken und einfach zu warten. Nach der Arbeit stelle ich mich jetzt 10 Minuten auf das Eutonieholz, das hilft mir loszulassen und den Atem fließen zu lassen.

    Es ist aber auch wunderbar als “spirituelles Training” geeignet. Ich spüre mich selbst und meinen Körper. Ich merke, was ich gerade denke und fühle, ob ich entspannt oder angespannt oder eher ängstlich bin. Es hilft mir, mich in meiner Körpermitte und dem Hara-Punkt zu verankern, da stehe ich doch gleich stabiler auf dem Holz. Mit meinen Füßen stehe ich auf dem Holz und fühle mich so mit dem Baum, der einmal eine Esche war, verbunden. Ich bin ganz in der Gegenwart, weil ich mir keine Gedanken mache, ob ich vor einer Minute fast heruntergefallen wäre oder ob ich in den nächsten fünf Minuten möglicherweise herunterfallen könnte. Ich bin ganz darauf konzentiert, gerade jetzt in diesem Augenblick nicht herunterzufallen (und habe neben mir immer das Regal, an dem ich mich schnell festhalten kann). Der Atem wird lockerer und die Lebensenergie fließt im Wortsinne durch mich hindurch. Und wenn ich entspannt bin und meinen Atem und meine Anspannung loslassen konnte, habe ich auch mehr Geduld und einen liebenden Blick für diese Welt übrig.

    Fazit: Ich finde das Eutonieholz ganz wunderbar, danke sehr für die Inspiration!

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