Lebensmittel

10 „Lebensmittel“, die Dich am Leben halten

Welche „Lebensmittel“ ernähren Dich wirklich?
Hier meine Geschichte dazu: Vor einigen Tagen war ich mal wieder mit dem Zug unterwegs – von Hannover über Dortmund nach Meschede und zurück. So weit, so gut. Wir fuhren los, der Zug kam in Fahrt, hielt an den vorgesehenen Bahnhöfen, ich war vertieft in einen Artikel, der meine Aufmerksamkeit fesselte. Dann plötzlich ein Ruck, die Bremsen quietschten, der Zug kam zum Stillstand. Ein Warten setze ein: vielleicht müssen wir auf Einfahrt warten, ein Hindernis ist auf dem Gleis oder das Signal ist umgesprungen. Nichts davon: uns wurde mitgeteilt, dass es einen Personenschaden gegeben hat. Mit anderen Worten: jemand hatte sich vor den Zug geworfen. Die beklemmende Atmosphäre war zum Greifen nahe. Da starb also vermutlich gerade jemand, ein paar Sekunden vorher und der Zugführer sitzt jetzt vermutlich hochtraumatisiert im Führerhaus.
Was bringt jemand zu solch einem autoaggressiven Schritt, wie kann man sich sowas antun, was muss vorher geschehen sein? Ich konnte meine Lektüre nicht weiter fortsetzen, sondern dachte über all die Fragen nach, die mir durch den Kopf gingen. Beide taten mir leid: Zugführer und der Mensch, der versucht hat, sich das Leben zu nehmen.
Und noch eine Frage ging mir durch den Kopf.
Man kann viel darüber nachdenken, was einen dazu treibt, so seinem Leben ein Ende zu setzen. Vielleicht noch wichtiger aber finde ich die Frage, was ich brauche, um auch in schwierigen Lebenssituationen nicht den Mut und die Hoffnung zu verlieren. Oder um es anders zu formulieren: Was braucht der Mensch, damit es ihm gut geht? Welche “Lebensmittel” brauchen wir für unser psychisches Wohlergehen.
Ich habe überlegt, welches mein ganz persönliches Rezept ist und kam auf insgesamt 10 Zutaten für dieses Rezept. Und diese Zutaten möchte ich Dir hier kurz vorstellen

1. Freunde

Niemand ist eine Insel – wir sind auf Gemeinschaft hin angelegt. Deshalb ist es auch so wichtig, Freunde zu haben. Wir wollen unser Schicksal mit-teilen, nicht alleine dastehen, jemanden haben, der seinen Arm um unsere Schultern legt, wenn wir weinen müssen und jemand, der sich mit uns freut. Wer niemanden hat – wie sollte jemand dann auf Dauer Schweres tragen können? Ich kann es mir echt nicht vorstellen. Glücklich der Mensch, der Freunde hat. Ich darf mich glücklich schätzen, viele Freunde zu haben. Es gibt Weniges, was in schweren Zeiten mehr stützt und aufbaut.

2. Bewegung

Vielleicht verwundert es, dass ich hier Bewegung aufzähle, ich könnte es auch Sport nennen. Aber gerade sportliches Tun hilft mir, mich wieder zu sammeln, von einer unguten zu einer gemäßigten oder sogar guten Stimmung zu finden. Viele Therapeuten empfehlen ihren Klienten inzwischen, parallel zur Psychotherapie zu joggen. Geist und Körper gehören nun mal zusammen und über den Körper kann ich den Geist stützen und in eine bessere Stimmung bringen. Vielleicht kennst du das auch: vor dem Sport ist man weniger motiviert, man geht halt hin. Nach dem Sport fühlt man sich richtig gut und ist froh, dagewesen zu sein. Das ist doch Beweis genug, dass Bewegung und Sport in diese Liste gehören.

 

3. Literatur und Gedichte

Für mich waren Bücher an wichtigen Stationen meines Lebens immer wichtig. Sie haben mir Orientierung und Ausrichtung gegeben. Gute Literatur und Gedichte sind immer Auseinandersetzung mit dem Leben. Sie betrachten das Dasein von ganz anderer Seite und helfen uns, neues Licht auf das Leben zu werfen, auf Fragen, Probleme und Phasen des Lebens. Gedichte fordern uns heraus, drücken aus, was wir selber so nie hätten sagen können, und treffen doch genau, was man fühlt. Wer liebt Rilke nicht, oder Nelly Sachs oder Rose Ausländer, wer kann mit Hilde Domin gar nichts anfangen? All diese Poeten haben etwas gesehen, was ich so noch nie gesehen habe – und jetzt bin ich froh, dass sie mir meine Wahrnehmung erweitert haben. Literatur und Gedichte vermitteln mir Sinn und Bezogenheit. Es ist das Wort das gültig ist, wenn alles andere zusammen zu brechen scheint.

4. Humor

Oh wie gut ist es, wenn man lachen kann, wenn man auch das Schwere mit Humor nehmen kann. Humor schafft Abstand und gibt damit ein wenig Handlungskontrolle zurück. Ich vermute, dass psychisch kranke Menschen über ihre Situation wenig lachen können, weil sie wenig Abstand zu schaffen in der Lage sind, was ein Teil ihres Problems ist. Wer die Tragik-Komik des eigenen Lebens erkennt und zusammen mit anderen darüber lachen kann, der hat eine unendlich wichtige und hilfreiche Ressource, die man nicht zu wichtig nehmen kann.
Auch das Schlimme hat seinen Witz und es muss keine mangelnde Achtung sein, wenn man darüber lacht – solange man dabei über sich in der Situation lacht.

 

5. Glaube

Es dürfte nicht überraschen, dass ich hier den Glauben anführe. Zunächst ist es fast egal woran Du glaubst. Jeder Glaube an etwas Unendliches hilft Dir in schweren Zeiten. Du spürst, wie du über den aktuellen Schlamassel bezogen bist, auf etwas, das Dein Leben überdauert und hält. Ich bin froh über meinen christlichen Glauben, da er mir eine große Freiheit gibt und eine bedingungslose Liebe. Ich muss gar nichts machen oder sein, ich muss nicht richtig glauben, mich nicht richtig benehmen oder viel meditieren, um diese Liebe zu erfahren. Gar nichts muss ich. Es ist gut, einen verantworteten Glauben zu haben, es ist gut zu meditieren und sich anständig zu verhalten. Aber das alles ist kein Kriterium für Gottes Liebe, aus der ich geboren wurde und zu der ich zurückkehren werde. Die gibt es gratis, aus Gnade – und nicht etwa als Marketingtrick, damit ich dadurch anderes besser schlucke.
Ich weiß, dass ich mich in Gott bewege und sich Gott in mir bewegt. Das sind Vorstellungen, die mir sehr gut tun.

 

6. Kreativität

Ich glaube es war Otto Rank, einer der Psychotherapeuten der ersten Stunde, für den Kreativität und künstlerisches Tun ein wichtiges Kriterium für die psychische Gesundheit und die Therapie waren. Wer gestaltet, ist nicht machtlos. Wer malt, Gedichte schreibt, wer Steine behaut, wer tanzt, singt, musiziert, wer knetet, zeichnet und Geschichten schreibt, hat schon eine Methode der Selbstheilung gefunden. Nicht wenige finden durch das künstlerische Tun zu sich und erleben es als Ressource auch in dunklen Zeiten. Außerdem lassen sich damit viele Dinge besser verarbeiten. Das wissen viele Krebskranke und trauernde Menschen. Gerade für diese Gruppen werden viele kreative Angebote gemacht und es hat sich gezeigt, wie wertvoll sie sind.

7. Muße

Einfach mal nichts tun, einfach mal dasitzen ohne zu grübeln, eine Tasse Tee oder Kaffee vor sich, vielleicht etwas Musik im Hintergrund und das pure Dasein genießen. Das nenne ich Muße. In der Badewanne sitzen und warten, bis das Wasser kalt ist. Meine Katze kraulen, bis sie nicht mehr mag (und das kann lange dauern, glaube mir), dem Fallen des Schnees lauschen, die Regentropfen meditieren. Wir brauchen Zeiten der Ziel- und Absichtslosigkeit, weil wir uns dann regenerieren. Sie helfen wieder zu dem zurück zu finden, was ich selber bin und will.

8. Mut zum Experiment

Wer sich komplett absichern möchte und kein Risiko bereit ist einzugehen, der kann seinen Horizont auch nicht erweitern. Wir brauchen den Mut zum Experiment, Dinge anders zu machen. Geh doch mal einen anderen Weg zur Arbeit, iss Deinen Apfel mal mit der anderen Hand, schau Dir Bilder auf den Kopf an, höre mal Musik, die Du sonst nicht hörst. das alles sind Experimente – Du kannst nachher wieder zur Gewohnheit zurückkehren. Aber vielleicht schleicht sich doch mit der Zeit etwas Neues in Dein Leben ein. Verändere die Gewohnheiten, beginne Routinen zu hinterfragen, mach es einfach mal anders und schau, wie es Dir damit geht. So kannst Du Dein Leben spannender und interessanter machen und Du entdeckst mehr vom Leben. Wer in Routinen und Gewohnheiten gefangen ist, kann diesen Zustand als ein fremdes Leben erfahren, als ein Leben, dass nicht zu Dir gehört. Deshalb: versuche Neuerungen in Dein Leben zu bringen und sei neugierig, wie es Dir damit geht.

 

9. Haustiere

Ah ja meine Katze! Ich weiß, nicht jeder kann etwas mit Haustieren anfangen und manche haben Katzen gegenüber Vorbehalte. Aber ich kann mir keine besseren Lehrer für Gelassenheit, Muße, Neugier, Bewegung und Mut vorstellen, Und ich liebe es heim zu kehren und von den dreien erwartet zu werden. Ich mag ihre Eigenarten, die nicht immer mit meinen Wünschen kompatibel sind. Haustiere geben dem Tag Struktur und machen das Aufstehen, auch wenn man keine Arbeit mehr hat, sinnvoll. Egal welches Tier man gern hat – Tiere sind nicht moralisch und daher nicht abwertend, sie können verzeihen und wissen mit den Eigenarten des “Dosenöffners” umzugehen. Ja, Haustiere gehören ganz eindeutig für mich in meine Liste.

10. Engagement

Sich einzusetzen, für andere zu kämpfen, anderen beizustehen, gibt dem Leben unendlich viel Sinn. Gerade wer sich ehrenamtlich engagiert, erlebt das immer wieder. Ich habe mich in meinem Leben in vielen Organisationen engagiert – auch gerne in nicht-kirchlichen. Ich habe keines der Engagements bereut und lebe aus den Begegnungen noch heute. Es hat mein Leben reich gemacht und meinen Jahren mehr Leben gegeben. Man erfährt was es heißt, Mensch zu sein und was es manchen Menschen kostet. Engagement für andere ist ein wahrhaftes “Lebensmittel”.

So, nun bist du dran. was sind Deine “Lebensmittel”?
Ich bin gespannt von Dir zu lesen!

Bruder David


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Kommentare

  • Moin, Bruder David, vielen Dank für das oben Geschriebene, es ist sehr schön zu lesen, und passt für mich, es fassts selbst Erlebtes sehr gut zusammen.
    Im Bahnhof des alten Heimatortes Dedensen/Gümmer war um den Dreikönigstag herum ein ähnliches Ereignis, ein Unfall/Suizid, geweckt von der Sirene im Ort, und den Geräuschen auf der Zufahrtsstaße zum Bahnhof bekam ich etwas davon mit.
    Für 2017 gute Erfahrungen für die ganze Cella St. Benedikt in Hannover, vielleicht erscheint in 2017/2018 ein Artikel über den Benediktshof http://www.benediktshof.de hier, ich werde die kommende Woche dort verbringen in Münster- Handorf.
    Gute Zeit Ihnen und er ganzen Hausgemeinschaft
    wünscht Raphael Ohlms

  • Schönen Dank für die Zusammenfassung der „Lebensmittel“, die auch für mich mehr oder weniger gelten (Literatur und Gedichte kommen etwas zu kurz und eine Katze haben wir zur Zeit auch nicht). Der Rest gilt auch für mich.
    Zum „Mut zum Experiment“: der Beitrag hat bei mir zu einem Perspektivenwechsel geführt!
    Ich schätze sehr den kreativen Umgang mit Papier und manchmal experimentiere ich, mal mit, oft aber auch ohne Erfolg und dann ärgere ich mich über die vergeudete Zeit und das verschwendete Material.
    Nun will ich mich nicht mehr darüber ärgern, sondern mir sagen, ich hatte eben „Mut zum Experiment“ und bin das Risiko eingegangen, keinen Erfolg zu haben.
    Danke für den Beitrag. Jutta

    • Das freut mich sehr zu lesen! Neue Entwicklungen entstehen durch „Fehler“, durch Abweichen von der Norm. Wer seine „Fehler“ lieben lernt, kann vieles neu entdecken. Gruß und Dank, Bruder David

  • Wissen, Mut, Menschlichkeit, Transzendenz, Mäßigkeit, Gerechtigkeit.
    Leider weiß ich nicht mehr, wo ich diese 6 „Lebensmittel“ gelesen habe. Aber seit ein paar Jahren schreibe ich sie immer zu Beginn des Neuen Jahres in meine Kalender.
    Ich denke, inhaltlich deckt sich das mit deinen Ideen, lieber Bruder David.
    Viele Grüße vom Niederrhein
    Dorothee.

  • Danke! Der Artikel, lieber Bruder David, ist selbst schon „Lebensmittel“, regte er doch zu intensiven Gesprächen mit Freunden an.
    Meine „Über-Lebens-Mittel“ sind: Musik (Sie begleitet mich, lehrt mich Neues und nicht selten Überraschendes), Kreativität (in Form von Gestalten, Schreiben, Darstellen), Literatur (eine große Lehrmeisterin), Kraft-Orte (die mir helfen, mich zu zentrieren), Humor, Kunst (Fotokunst, Gemälde, Skulpturen… ), die mir häufig die Möglichkeit gibt, mich heilsam irritieren zu lassen und mir neue Sichtweisen zugänglich macht, Gespräche mit Freundinnen und Freunden, meinen Kindern, Meditation/Gebet.

  • Der Mensch, der freiwillig seinem Leben ein Ende setzen wollte, muss so verzweifelt gewesen sein, dass er nicht mehr darüber nachdenken konnte, mit seiner Entscheidung nicht nur sich selber, sondern auch den Lokführer -seelisch- zu verletzen.
    Die 10 Rezept-Zutaten für ein lebenswertes Leben sind gut nachzuvollziehen und helfen ganz sicher mit Schwerem besser umgehen zu können.
    Aber was ist, wenn gute Freunde fehlen, Gedichte das Innere nicht mehr erreichen, künstlerisches Tun und Sport zu anstrengend erscheinen und Humor zwar Abstand schafft, aber verloren ging ?
    Wichtig und wünschenswert ist doch, dass man nicht nur sein eigenes Wohlgefühl sieht, sondern offen für die Mitmenschen ist, sensibel und auch erkennt wenn Zuspruch und Hilfe erhofft, gebraucht und gewünscht wird.
    Engagement mit Einfühlungsvermögen ist für mich die wichtigste Zutat, die dem Leben einen wahren Sinn geben.
    Das Glück, online rechtzeitig Lebensberatung durch stärkende und zum Nach- und Umdenken anregende Beiträge zu erhalten, ist nicht jedem Verzweifelten / Strauchelnden vergönnt.

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