Die Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan, stellt uns ihren Psalm-Vers vor, der ihr wichtig geworden ist.
Welcher Psalmvers gefällt Dir besonders gut oder hat für Dich persönlich eine besondere Bedeutung?
Mir ist der Psalm-Vers 4,2 wichtig geworden:
„Du hast mir Raum geschaffen, als mir Angst war.“
Zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe ich ihn auf dem Erinnerungsblatt von Bernhard Welte zu seinem Tod.
Er hat den Vers übersetzt: Als mir Angst war, hast DU’s mir weit gemacht.
Beim Abschied von Welte fand ich diesen Satz tröstlich. Dann ist er mir beim Psalmenlesen immer wieder aufgefallen. Er spricht vom Leben in den vielen Situationen, in denen wir ängstlich werden, Vertrauen verlieren und Enge spüren. Er erinnert mich daran, dass ich nicht allein auf meine Kraft setzen darf. Weite und Raum werden spürbar, wo wir empfänglich werden für die Freiheit, die allein bei Gott ist.
Wie würdest Du den Vers in Deiner eigenen Sprache formulieren und welche Bedeutung hat der Vers für Dich persönlich?
Wenn ich in die Enge getrieben werde, weise Du mir den Weg in die Weite.
Das Leben schreibt immer wieder Verengungsgeschichten. Dann fühlen wir uns in Sackgassen, spüren die Enge und tun uns schwer, die Weite des Herzens und der Gedanken zu finden. Wir werden kleinlich und ängstlich, denken zu sehr an uns und nicht mehr daran, wie es anderen geht. Dann wirkt Gott, der uns zur Freiheit berufen hat, wie eine Brücke in die Weite und in die Möglichkeiten unseres Lebens, die vielfältiger sind, als wir sie erkennen können. Er weist uns Wege, uns aus Enge und Kleinlichkeit zu befreien.
In welcher Lebenssituation könnte man diesen Vers jemandem in die Hand geben?
Das ist ein Vers für Situationen der Vergewisserung und eines besseren Verstehens unseres Glaubens. Freiheit bei Gott, Raum und Weite gegen alle Kleinlichkeit – dafür müssen wir uns immer wieder neu öffnen. Gewiss kann ich ihn jemandem in die Hand geben, der eine der vielen Verengungsgeschichten in seinem persönlichen Leben spürt. Schließlich ist es ein tröstlicher Vers – auch in Momenten des Abschieds von Menschen, wie eingangs geschrieben.
Angenommen, der Vers wäre der Titel eines Films – wovon würde der Film handeln?
Es wäre ein Film über den Weg einer Flüchtlingsfamilie aus Syrien, die in einer oberschwäbischen Gemeinde aufgenommen wird. Sie erlebt Menschen, die ihr einen neuen Anfang ermöglichen.
Annette Schavan
*1955
Lebt in Rom und ist die Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl
Liebe Frau Schavan,
das ist wirklich eine kostbare Perle, die Sie da aus den eh schon kostbaren Psalmen herausgefischt haben. Und Ihre eigene Formulierung dieses Psalmverses als Bitte kann in engen Situationen den Weg bahnen zur langsam sich öffnenden Erfahrung, dass der Raum dann tatsächlich weit wird. Und wieviel Enge kann man im Laufe des Lebens erfahren, in sich selbst wie auch in äußeren Situationen.
Bei Ihrem Filmvorschlag muss ich an die zwei Realitäten von Enge denken, die ich da vor mir sehe. Zum einen natürlich die für uns sicher unvorstellbare Enge, das selbst nicht erlebte Leid der Menschen in Syrien und dann der Menschen, die sich ohne Sicherheiten auf den weiten Weg nach Europa aufmachen, in der bangen Hoffnung, ein menschenwürdiges Leben zu finden.
Aber ich denke auch an die Enge der Menschen, die ich so oft um mich herum erlebe, die auf die Flüchlingsströme mit Angst und Unsicherheit reagieren (was ja erst einmal sehr menschlich ist), welche sie dann aber oft so eng macht. Diese aus Angst erzeugte Enge gebiert dann oft Ablehnung und auch Hass, selbst bei sonst menschenfreundlichen Menschen. Diese Erfahrung gerade auch im Kollegenkreis macht mich oft traurig, auch wütend und hilflos.
Da braucht man selber diese Gott geschenkte Weite, um diesen ängstlich reagierenden Menschen gegenüber in Weite zu begegnen; und um dabei auch auf ein wenig sich öffnende Weite in ihnen zu hoffen.
Dabei kann Ihr ausgewählter Psalmvers und Ihre Übersetzung gut helfen.
Danke für Ihre Inspiration.
Es grüßt Sie freundlich ins schöne Rom mit
pace e bene
michael
aus Berlin
🙂