03/11/2021

Mehrfach am Tag habe ich es vor Augen – und doch übersehe ich es oft. Die frommen Juden hingegen sprechen es bis heute – am Morgen nach dem Aufwachen und am Abend, wenn Sie sich zu Bett legen:
schəma jisrael adonai elohenu adonai echad – „Höre Israel! Adonai ist unser Gott; Adonai ist Eins.“

So steht es in hebräischen Lettern auf der linken Seite des Portals zu unserer Hauskirche geschrieben. Dieser Satz ist dem alttestamentlichen Buch Deuteronomium entnommen: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig.“ (Dtn 6,4)

Eine andere Übersetzungsmöglichkeit lautet: „Jahwe ist unser Gott, Jahwe allein.“ – Wie man es auch übersetzt, der Vers bietet zunächst keine Lehre vom Monotheismus, sondern besagt, dass Jahwe für Israel der einzige Gott ist. Nach dem Propheten Sacharja (Sach 14,9) gilt diese Aussage aber nicht nur Israel, sondern allen Völkern.

Dennoch wurde dieser Vers im Laufe der Zeit als Bekenntnis zum Monotheismus verstanden. Dabei geht es in Wirklichkeit um etwas ganz anderes: denn der kurze Satz des Schəma Jisrael spielt auf die Liebeslyrik des Hohenliedes an (vgl. Hld 6,8f).

Noch einmal: Beim Schəma Jisrael geht es nicht um ein Bekenntnis zu dem Einen, sondern um ein Bekenntnis zu der besonderen Beziehung des Menschen zu Gott – vor allem aber um die Beziehung des Einen zum Menschen.


Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Die größte Menschheitsfrage aller Zeiten ist und bleibt die Frage nach diesem Sinn des Lebens.

Sie beinhaltet auch die Frage nach der Bestimmung des Menschen. Hierbei wird diskutiert, ob diese durch eine äußere Institution vorgegeben ist, etwa ein göttliches Gebot, ob ein bestimmtes Verhalten der Natur entspringt, dass z.B. der Mensch dem Zweck der Fortpflanzung oder der Arterhaltung folgt, oder ob er gefordert ist, autonom ein selbstbestimmtes Leben zu führen und sich einen Lebensweg zu wählen, den er als sinnvoll erachtet.

Sinnvoll erscheint ein Leben dann, wenn es, wie Friedrich Schleiermacher formuliert, einer idealen Wertvorstellung entspricht. – Ein sinnvolles Leben führen zu können, wird dann als Kunst betrachtet.

Wurde in der Philosophie der Antike und des Mittelalters der Sinn des Lebens noch im Erreichen eines Glücks, einer Glückseligkeit gesehen, so wurde zu Beginn der Neuzeit – im Zeitalter der Aufklärung – die auf Frömmigkeit und Traditionen vertrauende, autoritätsgläubige Geisteshaltung kritisch hinterfragt.

Immanuel Kant kritisierte die herkömmlichen Vorstellungen von Glück, da diese bedeuteten, dass jeder den unvorhersehbaren Schwankungen seiner eigenen wechselhaften Triebe, Bedürfnisse, Gewohnheiten und Vorlieben ausgeliefert sei. Er forderte stattdessen im kategorischen Imperativ, dass sich der Mensch freiwillig den Gesetzen der Moral unterwirft. Dadurch könne ein selbstbestimmtes (autonomes), vernünftiges Leben geführt werden, in dem sich immerhin Zufriedenheit erreichen lässt.

Auch die Philosophen der Gegenwart kritisieren die alten Antworten auf die Sinnfrage.


Die Antwort des Christentums

Im Christentum ist die Antwort auf unsere Frage jedoch  immer gleich geblieben:

Jesus verkündete als Gottes Sohn und Messias das kommende Reich Gottes und erlöste die Menschen von Sünde und Tod durch seinen freiwilligen Tod am Kreuz und seine Auferstehung. Durch dieses stellvertretende Opfer können die Menschen Vergebung von ihren Sünden erlangen, sofern sie die so begründete Gemeinschaft mit Gott für sich persönlich im Glauben annehmen.

Der Sinn des Lebens im Christentum ist es daher, diese Gemeinschaft mit Gott und untereinander im Leben wie im bzw. nach dem Tod zu pflegen.

Voraussetzung hierzu ist das Leben in Liebe, die immer wieder neue Umkehr und der Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus. Mit der Taufe beginnt das von der Sünde und dem Tod erlöste Leben, das sich in Gebeten, Sakramenten und guten Werken fortsetzt.

Der evangelische Märtyrer Dietrich Bonhoeffer sah den Sinn des Lebens vor allem in der Nachfolge Christi, wenn er in „Widerstand und Ergebung“ schreibt:

„Wir meinen, weil dieser oder jener Mensch lebt, habe es auch für uns Sinn zu leben. In Wahrheit ist es aber so: Wenn die Erde gewürdigt wurde, den Menschen Jesus zu tragen, wenn ein Mensch wie Jesus gelebt hat, dann und nur dann hat es für uns Menschen einen Sinn zu leben... Der unbiblische Begriff des Sinnes ist ja nur eine Übersetzung dessen, was die Bibel ‚Verheißung‘ nennt.“


Und diese Verheißung haben wir:

Dass Jahwe – der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs –,
dass Jahwe – der Gott Jesu Christi – der einzige ist!
Dass er uns Menschen liebt!
Und dass er uns seinen Sohn und seinen Geist gesandt hat, damit wir an seiner Schöpfung mitarbeiten.

„Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und deiner Kraft.“ (Mk 12,30)

Darum sagt der hl. Benedikt zu Beginn seiner Regel: „Höre, mein Sohn! Höre, meine Tochter! Und neige das Ohr Deines Herzens!“ (RB Prol 1)

Bruder Nikolaus


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Kommentare

  • Ich singe bestimmt einmal am Tag diesen Satz nach der Melodie von HAGIOS. Zu hören auf Youtube. Doch Vorsicht, wird zum (angenehmen) Ohrwurm! 😉

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