In diesem Jahr sind sehr viele Menschen gestorben, die ich lange gekannt habe, und von daher war ich ungewöhnlich oft zum Krankenbesuch bei Sterbenden und auf dem Friedhof zu Trauerfeiern. Die eher altertümlich anmutenden Worte vom Beileid und der Anteilnahme kommen mir dabei in den Sinn. Beileid und Anteilnahme - auch wenn die beiden Worte ein Stück aus der Mode gekommen sind – die Erfahrung dahinter wünschen sich viele Menschen. Treffender empfinde ich es noch mit einem anderen Wort beschrieben: Mitgefühl. Gerade in den Zeiten rund um den Tod entstehen oft ganz besondere Beziehungen. Die Unsicherheit dieser Lebensphase schenkt Menschen neben der Trauer oft eine besondere Sensibilität und führt manchmal in eine ganz besondere Verbindung und ein tiefes Verstehen.

In den Fachbüchern wird Mitgefühl als Fähigkeit beschrieben, die Emotionen einer anderen Person nachzuvollziehen und sich in die Gefühlswelt einer anderen Person hineinversetzen zu können. Wenn ich mitfühlend bin, gehe ich auf die Emotionen und Gefühle meines Gegenübers nicht nur ein, sondern empfinde sie auch zu einem Teil mit. So lerne ich, eigene und fremde Gefühle richtig zu deuten und mit den Gefühlen umzugehen.

Mitgefühl verändert

In den Begegnungen der letzten Woche wurde mir dabei der wichtige Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl deutlich. Wenn ich mich nur darauf konzentriere, das Leid einer Person zu verstehen, und mich in das Leid hineinbegebe, dann schafft das eher Distanz als wirkliche Nähe. Dann entsteht in mir der Reflex, dieses Unglück abzutrennen und das echte Gefühl doch nicht so nah an mich heranzulassen. Bei Mitgefühl wird dies sofort anders. Weil nicht nur das Leid, sondern der ganze Mensch mit allen seinen Emotionen im Mittelpunkt steht, wird dadurch die Beziehung stärker. Mitgefühl hilft oft beiden Beteiligten, nicht nur der Person, der man vielleicht mitfühlend zur Seite steht, sondern auch mir selber. Mehrfach habe ich erlebt, dass ich eigentlich gestärkt und gekräftigt von einem Besuch aus dem Hospiz oder vom Friedhof zurückgekehrt bin. Mitleid verstärkt oft nur Trauer.

Kann man sich in Mitgefühl einüben?

Kann man sich in Mitgefühl einüben? Ja, ich glaube, dass man Mitgefühl einüben kann und sich auch selbst in eine Haltung des Mitgefühls bringen kann. Für mich gehört dazu an erster Stelle die wirkliche Bereitschaft mitzufühlen – also beim Gefühl des Gegenübers zu bleiben. Das klingt scheinbar so einfach - und ist es in Situationen von menschlichem Leid oft gar nicht.

Mitfühlen beginnt mit einem wachen Zuhören auf das, was mir mein Gegenüber erzählen will. Nicht meine erste Emotion steht im Vordergrund, nicht die Geschichte, die mir dazu noch einfällt, nicht meine Vermutungen über die Gefühle des Erzählenden – sondern das Wort und die Signale meines Gegenübers. Natürlich gibt es Menschen, bei denen es überhaupt nicht das Problem ist, dass sie einen großen Redeanteil in unseren Gesprächen behalten. Achtsamer muss ich bei den Menschen sein, die nicht von alleine einfach los erzählen, die in größeren Gruppen überhaupt nicht zu Wort kommen und auch im Zweiergespräch nur dann Dinge von sich erzählen, wenn ich ihnen aktiv den Freiraum dazu lasse.

Mitfühlend werden aus eigener Erfahrung

Bei Menschen, die selber schon einmal einen schweren Verlust erlitten oder einen nahen Angehörigen verloren haben, bin ich manchmal ganz fasziniert von deren Fähigkeit zum Mitgefühl. Solche Menschen haben dann über die eigene Erfahrung mit Leid die sensible Ausdeutung der Emotionen - sowohl der eigenen als auch der fremden - gelernt und können sie gut nachvollziehen. Dabei zeigt sich ganz deutlich: Nur wenn ich nicht überfordert von meinen eigenen Emotionen in diesem Moment bin, kann ich auch in meinen eigenen Gedanken wirklich bei den Emotionen meines Gegenübers bleiben.

Und wenn ich das so schreibe, erinnert es mich zugleich daran, dass man sich in Mitgefühl zwar einüben kann, dass diese Übung aber immer wieder und in jeder Situation erneuert und vertieft werden muss. Es ist wirklich eine Haltung, eine, die mich bei anderen Menschen oft zutiefst fasziniert, und die ich mir auch so sehr für mich selber wünsche.

Und ich freue mich wieder, von Dir zu lesen, welche Erfahrungen Du mit Mitgefühl gesammelt hast.

Bruder Karl-Leo


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Kommentare

  • Ich denke immer wieder an eine Erfahrung vor etlichen Jahren: mein Vater war gerade auf der Demenzstation verstorben, und eine sehr alte Frau- selbst ziemlich dement- nahm auf dem Flur meine Hand, sagte „Jetzt setzen wir uns erst mal ein bisschen hin…“-dann haben wir uns mitten in der Nacht sehr nett unterhalten: und ich habe selten so intensiv den Eindruck gehabt, dass jemand, den ich gar nicht kenne, so bei mir ist.
    Mich hat das sehr getröstet und mir auch Mut gemacht: wenn man mitfühlend sein kann , dann ist das eine Eigenschaft, die auch bleibt, wenn im Kopf schon einiges durcheinandergeraten ist. Ich hoffe jedenfalls, dass, wenn ich selbst mal etwas planlos über eine Demenzstation irre, ich trotzdem so mitfühlend sein kann wie diese alte Frau vor Jahren.

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