“Was ist der Mensch…?” –
Psalmen aus dem Leben erklärt

Die Frage nach dem Menschen wird immer schwieriger zu beantworten. Was heißt es denn, Mensch zu sein und sich als Mensch zu erleben und zu erfahren? Gibt es den spezifischen Erfahrungshorizont, den wir menschlich nennen?
Und doch definieren wir uns in einem fort, egal was wir tun. Unser Handeln und unsere Worte sind immer auch Selbstaussagen, sagt die Kommunikationspsychologie, und damit Selbstdefinition.
Von daher sind auch alle gesprochenen oder gebeteten Psalmen eine Aussage über mich selbst, ja, das Beten selbst ist eine Selbstdefinition.

Wer betet, sieht sich in der Regel einer zweiten Instanz oder Person gegenüber und fühlt sich in gewisser Weise auch von ihr abhängig. Mein Wohlergehen liegt nicht nur in meiner Hand, sondern wird wesentlich mitbestimmt von einem viel größerem Gegenüber. Ich bin existentiell bezogen auf den Ursprung meines Lebens und das Geheimnis des Seins. Wäre es anders, bräuchte ich nicht zu beten – es wäre eine Form des Zitierens oder Rezipierens, aber nicht Gebet. Gebet richtet sich an jemanden oder etwas und kommt ohne diesen nicht aus.

Fluchpsalmen

Psalmen beten sagt aber noch mehr aus, nämlich: Vor Gott darf alles gesagt und gefühlt werden – ich muss mich nicht zurückhalten. Das ist wichtig, sogar sehr wichtig. Jeder Mensch braucht einen solchen Raum, wo auch Hass und Wut  gesagt und  besungen werden dürfen – aber nicht unbedingt getan werden. Es geht bei den Fluchpsalmen oder den kriegerischen Momenten nicht darum, dass Gott zu Felde zieht, dass er sich auf meine Seite stellt. Hier wird Gott vielmehr als jemand erfahren, der auch meinem Hass, meiner Wut und meinem Wunsch nach Vergeltung Raum gibt. So vermittelt uns Gott: Du musst nicht immer schön artig und anständig sein, nicht immer nur liebe und gute Gedanken hegen und immer das saubere Händchen geben. Wir sind Menschen mit allen Emotionen und die dürfen alle gespürt werden – nur dann müssen sie auch nicht in Handlung überführt werden.

Die Psalmen gehören zum Gut der Juden wie der Christen – egal welcher Konfession. Die frühen Mönche haben sie auswendig gekonnt und damit einen unglaublichen Schatz in sich getragen. Luther hat sie in kraftvollen Worten und Versen übersetzt und Martin Buber uns die lyrische Schönheit durch seine Übersetzung deutlich gemacht. Psalmen gehören zu unserem Kulturgut. Nur wenige Komponisten hat es gegeben, die nicht irgendwann einen Psalm vertont haben.

Der Psalter gehört zur monastischen Liturgie grundlegend dazu, ja, unsere Spiritualität ist eine Spiritualität der gesungenen Psalmen. So soll der Mönch sich selbst in seinen unterschiedlichen Befindlichkeiten Gott darbringen – mit allem was er in sich trägt und fühlt.

Unser Vorhaben

“Was ist der Mensch…” – wir finden auf diese Frage kein Ende, keine endgültige und finite Antwort. Es bleibt unser Auftrag, Antworten zu finden. Die Psalmen geben uns ihre und es ist eine sehr weite Antwort: Du bist ein Mensch, gestellt vor Gott und dem Geheimnis des Lebens. Aus dieser Bezogenheit zu Gott gibt es keine Entlassung. Zugleich darfst Du vor Gott alles sein und fühlen, alles sagen und meckern und schimpfen. Gott ist nicht genervt, nicht überarbeitet oder überspannt, etwas empfindlich, eifersüchtig, neidisch: Gott liebt.

Mit Beginn dieses Jahres möchten wir eine neue Reihe hier in unserem Online-Magazin starten. Die Überschrift lautet: “Was ist der Mensch…”. Jeden Monat werde zwei bekannte oder weniger bekannte Persönlichkeiten uns ihren Lieblingsvers aus den Psalmen vorstellen und darlegen. Im Monat je zwei – je zwei neue Ideen, Vorschläge und Gedanken, was der Mensch ist und was es heißt Mensch zu sein.

Du bist wie immer eingeladen, Deine Gedanken dazu mitzuteilen, Dich austauschen und Rückmeldung zu geben. Dafür nutze bitte die Kommentarfunktion, die am Ende eines jeden Beitrags zu finden ist.

Wir hoffen, über das Jahr viele spannende Antwortversuche geben zu können, ganz persönliche Begegnungen über dieses Medium hinweg zu ermöglichen und dadurch den Impuls weiter zu geben, um sich der Frage zu stellen: Was ist der Mensch, was bist Du?

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Bruder David


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Kommentare

  • Lieber David,
    nach einer erzwungenen Laptop-freien Zeit ,er war zur Raparatur und ich habe es nach und nach genossen 🙂 , kann und will ich mich im neuen Jahr nun wieder einmal hier melden.
    Die neue Reihe über die Frage nach dem Menschsein in Verbindung mit den Psalmen ist verheißungsvoll. Für mich sind die Psalmen immer mehr zum „biblichsten“ Buch in der Sammlung der Heiligen Schriten geworden, weil sie so konsequent menschlich, „allzu“ menschlich, undogmatisch sind. Alles darf gesagt und ausgedrückt werden, was wir als Menschen nun einmal so fühlen und denken, tun und lassen. Ob uns das jeweils gefällt oder nicht, ob das wünschenswert und erstrebenswert ist oder nicht. Es darf einfach so sein, weil es so ist. Mit diesem Aussprechen und dem damit verbundenen hoffentlich mehr und mehr liebevollen Annehmen dieser gegebenen inneren und äußeren Wirklichkeit des Menschen, kann man dann Schritt für Schritt anfangen ein Mensch zu werden, wie ihn sich der Schöpfer so gedacht hat. Und dieses Werden bleibt ja ein Leben lang unsere AufGabe.
    Menschsein, sich verstehen als Geschöpf Gottes, ist ja immer „nur“ eine Annäherung, eine Ahnung, eine Sehnsucht. Aber immerhin, das ist es auch.
    Und dieser Mensch, in dieser uralten jüdischen Denk- und Erfahrungstradition, wird sich umso besser „verstehen“, je mehr er sich in Beziehung setzt zu diesem personalen Gott. Der Mensch wird in Beziehung zu Gott erst Mensch. Oder wie es Buber sagte: Das Ich wird am Du. Am Du der Mit-Menschen und am alles übersteigenden DU des unsichtbaren Gottes.
    So freue ich mich auf ein interessantes Herantasten an unser gemeinsames Menschsein mit den Psalmen in diesem neuen Jahr.
    Es grüßt Dich und die Brüder in Hannover
    mit pace e bene
    michael
    🙂

    • Lieber Michael,
      schön von Dir zu hören und hoffentlich waren die ersten tage des neuen Jahres ermutigend für die weiteren tage dieses Jahres. Auch mir sind die Psalmen immer wichtiger geworden. Es gab eine Zeit, wo ich mit diesen Liedern und Gebeten wenig anfangen konnte. Je älter ich werde um so besser finde ich sie und um so tiefer finde ich einen Zugang zu ihnen. Heute kommt übrigens der erste Beitrag aus dieser Reihe!
      Mit lieben Grüße auch von den anderen Brüdern
      David

  • danke für die neuen Impulse auch von mir,
    auch mir haben sich Psalmen erst in den letzten Jahren nach und nach geöffnet—besonders dann, wenn eigene Worte fehlten,
    hab sie auch als Mut machend erlebt, eben doch alles aussprechen zu dürfen..
    wenn es einmal im Kopf oder Herz auftaucht, was soll dann alles zurückhalten… das muß man ohnehin im Alltag oft genug.
    es muß doch einen Unterschied geben und einen Ort- ein liebes Gegenüber, dem man eben doch einmal alles alles anvertrauen kann, ob nun mit eigenen Worten,ohne Worte auch…, oder mit Worten, die ein anderer „Menschwerder“…entdeckt und uns hinterlassen hat- ich danke diesen Menschen manchmal innerlich dafür..
    Schönen Abend,
    Astrid

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