Gewalt?
Wer ist schon gewalttätig?
Wir sind doch alle friedlich, schlagen uns nicht die Köpfe gegenseitig ein und benehmen uns zivilisiert, oder etwa nicht?

Wenn wir an Gewalt denken, dann denken wir zumeist an körperliche Gewalt, wir denken an das Gesetz der Fäuste und da mag es stimmen, dass wir dazu nicht gehören. Und doch wissen wir, dass wir sehr wohl sehr viel Gewalt anwenden können - auch die Leisen und Stummen können sehr gewalttätig sein, nicht nur die Lauten und Groben. Ja, selbst mit Schweigen und Weinen kann man jemandem Gewalt antun. Gewalt ist vielfältig und oft sehr subtil.

Dennoch haben wir alle den Wunsch nach einem gewaltlosen Umfeld, wir wollen selber unbedingt gewaltlos behandelt werden und wir spüren - wenn auch vielleicht nicht sofort -  wenn dem nicht so ist.

Aber schauen wir auf unser Verhalten!
Schnell sind wir in hitzigen Gesprächen dabei, anderen etwas zu unterstellen, ihnen Fallen zu stellen, die Gefühle des Gegenübers zu ignorieren, selektiv zuzuhören, jemandem ins Wort zu fallen, Urteile zu fällen oder einfach das Gespräch abzubrechen. Wir sind in der Lage, über andere zu bestimmen, ihre Meinung nicht ernst zu nehmen und sie durch die Androhung emotionaler Schmerzen gefügig zu machen.

All das ist Gewalt, ist Gespräch und Begegnung, in dem man einander Gewalt antut.

Marshall Rosenberg hat in den 70er Jahren das Modell der “Gewaltlosen Kommunikation” entwickelt. Es geht dabei darum, sich aufrichtig mitzuteilen und einander wirklich zuzuhören - ohne Gewinner und Verlierer, ohne Erpressung, ohne Drohungen und Bevormundung.

Dieses Konzept findet inzwischen auf der ganzen Welt Anwendung. In Krisengebieten, in der Eheberatung, in Gefängnissen, mit Jugendlichen, älteren Menschen… es gibt im Grunde keine gesellschaftliche Gruppe und keinen Arbeitsbereich, in dem Rosenbergs gewaltfreie Kommunikation nicht Einzug gehalten hat.

Im Kern geht es, wenn ich das alles richtig verstanden habe, um eine Haltung. Es geht um die Haltung der Empathie, die jede Form des Alleinanspruchs aufgibt, um sich dem anderen zuzuwenden.

Dazu verhelfen bestimmte Schritte, die ich in einem Gespräch nutzen kann, um mich besser verständlich zu machen.

Nehmen wir an, dass jemand sich darüber ärgert, dass ein Freund zu spät zu einer Verabredung kommt

Alles beginnt damit, dass ich beobachte und meine Beobachtung schildere. Das klingt leichter als gedacht, denn schnell schleichen sich Bewertungen und Urteile in die Beobachtung ein. Ich weiß noch, in meiner Studienzeit musste ich ein Seminar zur urteilsfreien Beobachtung belegen und wir Studenten erkannten schnell, dass einfaches Beobachten nicht leicht ist. Es geht dabei darum genau zu registrieren, was geschieht und genau das mitzuteilen.

In unserem Beispiel heißt das: “Ich habe jetzt eine Stunde auf Dich gewartet.” Das ist eine Feststellung, die ziemlich objektiv ist, da sie sich an der Uhr orientiert und daher auch nicht anzuzweifeln ist.

Im nächsten Schritt darf ich meine Gefühle dazu äußern, kann sagen, dass mir das, was ich beobachte, nicht gefällt, mich ärgert, mir Angst macht, mir weh tut …

“Ich warte sehr ungern und es macht mich wütend, so lange zu warten, weil ich mich sehr auf unser Zusammentreffen gefreut habe.”

Dann folgt mein Bedürfnis. Wessen bedarf ich, was ist mein Bedürfnis? Das muss ich zunächst einmal für mich klar haben. Und daraus leitet sich dann mein Wunsch an mein Gegenüber ab. Diesen Wunsch darf ich konkret äußern. Es geht nicht darum, etwas zu fordern, ein Ultimatum zu setzen, entweder oder… oder was uns auch immer einfällt. Wir können von einem anderen Menschen ohnehin immer nur etwas wünschen.

Mein Gegenüber hat jetzt die Möglichkeit, zu antworten und seinerseits mitzuteilen, was sie/er beobachtet, fühlt, wessen er bedarf und worum sie bittet.

“Mit Verspätungen kann ich besser umgehen, wenn ich weiß, warum. Erkläre mir bitte, warum Du mich so lange warten lassen hast.”

Man erkennt schnell, dass es um gegenseitigen Respekt geht, darum, den anderen für voll zu nehmen, die Bedürfnisse des anderen zu akzeptieren und grundsätzlich als gerechtfertigt anzusehen. Zugleich geht es auch darum, eigene Bedürfnisse anzuerkennen und zu respektieren.

Über dieses Konzept der Kommunikation musste ich nachdenken, als ich vor einigen Monaten eine Radiosendung zur gewaltfreien Kommunikation im Deutschlandfunk hörte. Und am Ende der Sendung stellte sich mir die Frage: Was ist eigentlich mit Gott, wie sähe ein gewaltloser Gott aus?

Das fand ich beim näheren Betrachten sehr spannend. 

Gott, der nicht fordert, nicht zwingt, nicht emotional erpresst (“... sonst kommst du nicht in den Himmel…”), Gott, der sein lässt, der die Bedürfnisse des Menschen respektiert, der auch nur seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse mitteilt. Zwar ist ein solches Denken ziemlich anthropomorph und behagt mir daher gar nicht, aber für dieses Gedankenexperiment ist es hilfreich, so von Gott zu sprechen.

Wie also sähe ein gewaltloser Gott aus?
Respekt vor den Menschen, vor seinen Wünschen und Bedürfnissen gehört gewiss dazu. Ein solcher Gott interessiert sich für meine Gefühle und das, wessen ich bedarf. Es wäre ein Gott, der fragt, der mich kennenlernen und erfahren möchte. Nicht der allwissende Gott, der schon bevor ich anfange zu reden sagt: “Lass mal, ich weiß schon…”

Ein gewaltloser Gott bestraft nicht (auch nicht die sog. kleinen Sünden), schickt niemanden in die Hölle, beschimpft niemanden, sondern lässt die Freiheit ohne emotionale Erpressung, ohne Vorwurf. Ob ich mich für oder gegen Gott entscheide, ist meine Sache und wird nicht sanktioniert.

Ein gewaltloser Gott will mehr gewinnen als überzeugen, durch Geschichten inspirieren und ist kein Gott der Gesetze. Vielleicht ist ein solcher Gott eher ein poetischer Gott, der eine Sprache wählt, die mich frei lässt, mich vielleicht verzaubert und berührt.

Ein gewaltloser Gott gibt gerne und großzügig, hält nichts zurück, rechnet nicht durch, für wieviele Menschen seine Gaben noch reichen. Er spielt die Menschen nicht gegeneinander aus: arm gegen reich, Mächtige gegen Ohnmächtige, Christen gegen Moslems… und doch hat er ein besonderes Herz für die, die unter der Gewalt anderer leiden - auch für die, die unter der strukturellen Gewalt leiden, auch für die, die unter der kirchlichen strukturellen Gewalt bis heute leiden.

Einer Kirche eines gewaltlosen Gottes ist das Ausstoßen und Aussondern fremd, sie ist geprägt von Sympathie, Respekt und Wohlwollen. Und da es sich um eine Gemeinschaft von Menschen handelt, ist es immer ein Weg, der mal mehr und mal weniger gelingt. Menschen fühlen sich dort wohl, gewollt, anerkannt, können sich dort verwirklichen. Es ist kein bedingungsloser Ort, aber die Bedingungen sind offen, ehrlich und nachvollziehbar.

Niemand wird gezwungen, niemand hinters Licht geführt oder verurteilt - was nicht heißt, dass man alles gut finden und akzeptieren muss.

Eine solche Kirche sucht immer das Gespräch, immer die Begegnung - mit allen Gruppen, und ist neugierig auf den Schatz, den andere für diese Welt beitragen können, vor allem bei Menschen, die der Kirche fremd sind. Eine solche Kirche hat eine gewaltlose oder zumindest eine gewaltarme Struktur, die sich anpasst und den Menschen dient.

Ehrlich gesagt, ich könnte so weiter fortfahren. Aber ich will gleich sagen: Eine Kirche ist im Gegensatz zu Gott nichts Ideales, wo es einen Zustand geben wird, an dem das alles verwirklicht ist. Stattdessen ist es eine Gemeinschaft, die sich ihrer Schwäche bewusst ist, sie offen kommuniziert, daran arbeitet und aus dieser Erfahrung heraus aufgibt, andere zu verurteilen. Die Kirche muss sich auch nicht selber Gewalt antun.

Und wenn Du auch einmal darüber nachdenkst, wenn Du den Wunsch nach einer gewaltlosen Religion oder Kirche hast:
Was bewegt Dich dann?
Was sind Deine Wünsche und Vorstellungen?


David

Bruder David


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Kommentare

  • Lieber David,
    gerade bin ich am Thema “geschwisterliche Kirche”. Daher fällt mir sehr spontan ein, dass ich mir wünsche, dass die Männer unserer Kirche endlich aufhören, den Frauen ihren Platz zuzuweisen. Denn das erfahre ich als Gewalt, mein Angewiesensein in der Spannung von Ermächtigung und Entmächtigung durch die Macht einer patriarchalischen Kirche. Erst dann, wenn jede Frau und jeder Mann dem eigenen Talent und Charisma folgend überall hin gehen kann, erst dann können Positionen ausgehandelt werden. Auf Augenhöhe!

    • Liebe Evelyn, das wünsche ich mir auch und es kann eigentlich kein Weg daran vorbeiführen. Und dann müssten alle Strukturen unter die Lupe genommen werden und ein Leitungsstil gepflegt werden, der nicht unterdrückt und nicht der strukturellen Gewalt dient. Dass das nicht immer leicht ist und nicht immer gelingen wird, ist normal . aber es nicht anzugehen, das ist das, was eigentlich schlimm ist. David

  • Ja, ich wünsche mir eine gewaltlose Kirche, der ich vorbehaltlos vertrauen kann und zugleich weiß ich doch, dass ein solcher Wunsch naiv und eine kleinkindhafte Illusion ist. Manchmal kostet es mich Überwindung, trotz aller Gewalttätigkeiten, strukturellen wie persönlichen, zu dieser Kirche zu stehen. Gott als gewalttätig (grausam, menschenfeindlich, zersötrerisch….) zu bezeichnen, widerstrebt mir aus verschiedenen Gründen; aber als Geheimnis, das in mir Befremden, Widerstand und manchmal Entsetzen auslöst, erlebe ich immer wieder und versuche, diesem Erleben standzuhalten- bis sich in mir das Wort ausbreitet: Zu wem sollte ich gehen? Du allein…. Zwar ist es an Jesus gerichtet, aber er repräsentiert ja den Vater.

    • Natürlich kann man sich eine Traumkirche vorstellen, wo sich alle lieb haben. Darum kann es wirklich nicht gehen. Aber einen Weg einschreiten wollen, der versucht, gewaltlos zu sein und gewaltlose Führung und Begegnung zu ermöglichen und zu pflegen, dass halt ich für sehr wichtig.
      Gott selber ist natürlich gewaltlos – aber unsere Bilder von Gott sind dann doch oft gewalttätig. Und die Sprache von Gott ist es auch oft.
      Mit einem herzlichen Sonntagsgruß, Bruder David

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