Seit vielen Jahren begleitet mich ein Satz – er stammt nicht von mir selbst, sondern ich habe ihn von einem Mitbruder übernommen. Und zu diesem Satz gibt es eine kleine Geschichte.
Die Einführung
Während einer Einführung in eine Messe in der Abteikirche in Meschede während der Woche sprach ein Bruder über einige wichtige Dinge aus dem Evangelium und versuchte so, den Anwesenden die Worte aus der Heiligen Schrift nahezubringen. Vor allem aber konzentrierten sich seine Worte auf jenen Satz, den er dann auch mehrfach aussprach. Und dieser Satz lautet: "Im Grunde ist alles gut."
Zu jener Zeit hatten wir einen Mitbruder, der sehr unter verschiedenen Krankheiten litt und während der Gottesdienste in der Abteikirche auf der Krankenempore saß. Er hatte einige Brüder, die ihm halfen und unterstützten. Einer dieser Brüder ging nach der Messe zu dem Priester hin und warf ihm vor, angesichts des Leidens des Mitbruders wenig mitfühlend gewesen zu sein und dass der Satz "Im Grunde ist alles gut" für ihn ganz gewiss nicht stimmt und ein Hohn für ihn gewesen sein muss. In diesem Moment stieß der kranke Bruder zu den beiden, er hatte von dem kurzen Wortwechseln nichts mitbekommen. Er dankte dem Priester sehr für die tröstenden Worte, die ihm so gutgetan haben.
Nichts ist gut?
So kann es einem gehen, wenn man in diese Welt hineinruft, dass im Grunde alles gut ist. Aber stimmt der Satz deshalb schon? Gerade jetzt? Ich möchte nicht alles wiederholen, was wir in den Nachrichten lesen – wir kennen es alle. Ist wirklich alles gut? Kann denn ein solcher Satz je richtig sein? Wir kennen das Leid so vieler, die Not von Menschen, die Qualen auf den Krankenstationen und die Ängste, die Sorgen und den Hunger und den Durst. Wir kennen uns und wir kennen unser Leben. Ist alles gut? Wer könnte das von sich und seinem Leben behaupten? Es ist eben nicht alles gut, die Welt steht am Rande eines großen Krieges – alles wird immer schlimmer. Und ich erinnere mich an den Satz von Frau Käßmann zur Situation in Afghanistan vor vielen Jahren: "Nichts ist gut in Afghanistan", sagte sie damals. Nichts ist gut in unserer Welt – zumindest nicht viel.
Und doch berührt mich der Satz, "im Grunde ist alles gut". Gibt es eine Möglichkeit, dass dieser Satz doch richtig ist, dass wir ohne das Leiden auszublenden doch sagen können, dass alles gut ist? Der kranke Bruder zumindest hatte den Satz nicht als Hohn verstanden, nicht als ein Fehlen von Mitgefühl. Er war berührt und dieser Satz gab ihm Hoffnung. Könnte der Satz also doch stimmen? Könnte er vielleicht gerade in dieser Zeit stimmen, gerade dann, wenn alles nicht gut zu sein scheint? Aber wie kann ein solcher Satz stimmen, wenn man selbst leidet, wenn die Welt leidet?
Happy Ende
Jedes Märchen kündet ja letztlich von diesem Satz, und die meisten Filme enden auch mit dem, was wir ein "Happy End" nennen. Das findet zwar häufig auf einfachstem Niveau statt, und gerade die Filme mit Happy End haben oft nicht die innere Substanz, um wirklich langfristig Hoffnung zu vermitteln. Dennoch sehen wir uns solche Filme an, und sie haben Erfolg. Wir haben eine Sehnsucht danach, dass alles gut ist, und wir haben eine Sehnsucht danach, dass jemand sagt: "Es wird schon alles gut", und es sich dann auch verwirklicht. Ja, das wäre gut. "Im Grunde ist alles gut."
Die notwendige Distanz
Die Frage ist, meine lieben Freunde, mit welchem Ohr wir diesen Satz hören. Viele hören den Satz auf einer höheren Ebene, wie ich das mal nennen will. Wenn man ihn aus dem aktuellen Leid hört, in dem Augenblick oder in der Phase, wo man vom eigenen oder fremden Leid völlig eingenommen ist, dann ist dieser Satz eine pure Provokation, er ist falsch, schlimm, unmöglich. Wenn wir aber beginnen, ihn aus einer größeren Tiefe zu hören oder zu lesen, aus einem Bereich unseres Inneren, wo wir ganz bei uns sind, voll Mitgefühl, wenn wir beginnen, uns selbst in der tiefsten Not nicht vom Leid gefangen nehmen zu lassen, wenn wir noch diese notwendige Distanz aufbauen können, die uns hilft, unsere Angst und Sorge selber zu betrachten, ohne gleich darin zu ertrinken, dann haben wir Zugang zu einer Tiefe und zu einem Heil, wo der Satz einfach stimmig ist: "Im Grunde ist alles gut." Nur so und nur dort stimmt der Satz und kann Hoffnung machen, weil er uns mit dem Innersten in uns verbindet, wo wir klar, mitfühlend, bezogen und frei sind.
Deshalb darf der Satz auch nicht ausgesprochen werden, wenn jemand gerade zutiefst verletzt wurde, wenn Terror das Leben vieler überschattet, wenn frische Wunden bluten – das wäre eine Bagatellisierung, eine Verhöhnung von Schmerz und Unrecht. Aber er darf gesprochen werden, vielleicht auch nur geflüstert werden, wenn man wieder zu Besinnung gekommen ist, wenn man wieder die Kraft hat, Abstand zu nehmen, dann kann dieser Satz einen Weg bahnen zur inneren Heilung.
Christus in uns allen
Jesus sagt einmal einen merkwürdigen Satz: Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Mt 23,10.
Ich finde es interessant, dass hier Jesus von Christus in der dritten Person spricht. Er sagt ja nicht, ich, Christus bin euer Lehrer, sondern er, Christus. Was für eine eigenartige Formulierung, oder? Er spricht von Christus, seiner eigenen tiefsten Identität, so, als ginge es um eine ganz andere Person. Dem ist natürlich nicht so, und doch steckt in diesem seltsamen Satz auch eine tiefe Wahrheit. Denn dieser Christus ist nicht nur seine eigene Identität, es ist nicht sein, sondern es ist unser. Wir alle haben diesen Christus in uns, sind auf der tiefsten Ebene unseres Seins ein Christus, dort finden wir unser göttliches Ich. Und wenn wir dort gelandet sind, wenn unser Zugang zu dieser tiefsten aller menschlichen Dimensionen frei ist und fließend, was übrigens gar nicht immer so schwer ist, wie man meinen könnte, dann haben wir Zugang zu dem fließenden Licht der Gottheit, wie Mechthild von Magdeburg es formuliert hat. Und das ist das Zentrum, dem unser Bemühen gelten sollte. Äußerlichkeiten, hochragende moralische Ansprüche und vor allem Arroganz und Doppelbödigkeit – das sind Lehmschichten, die sich über dieses Licht legen und verhindern, dass auch nur ein Fünkchen des fließenden Lichts der Gottheit nach außen strahlt. Und alle, die bei anderen Menschen diese Lehmschichten, dieses Geröll verursachen und dafür sorgen, dass andere keinen Zugang mehr dazu bekommen, sie alle begehen tatsächlich ein großes Unrecht – vor allem, wenn sie es im Namen Gottes tun. Das wäre dann die doppelte Doppelbödigkeit.
Fließendes Licht
Wenn wir zu diesem fließenden Licht der Gottheit, zu diesem Christus in uns – im Buddhismus sagt man dazu Buddha-Natur – zu dieser tiefsten Wahrheit finden, die in dir und mir anwesend ist, dann entsteht jene Klarheit, jene Ruhe, jenes Mitgefühl und jene Zuversicht, die wir vielleicht gerade jetzt brauchen.
Und hier und nur hier stimmt auch der Satz: "Im Grunde ist alles gut." Weil hier der Grund gelegt ist, weil hier der Urgrund vorhanden ist, weil uns hier die Kraft zufließt, die nicht aus unserem eigenen Vermögen hervorquillt. Dort ist der innere Lehrer, in unserer Klosterregel wird er auch "gütiger Vater" genannt. Und alle anderen Lehrerinnen und Lehrer, geistlichen Begleiter, Exerzitienmeisterinnen, Meditationsgurus, Yoga-Lehrer sind nur Hebammen auf dem Weg dorthin, um sich dann zurückzuziehen, weil irgendwann jedes weitere belehrende Wort nicht mehr hilft, sondern wie ein Hindernis zum Christus-in-Uns wirkt.
Die Lehmschichten beseitigen
Dafür aber braucht es einen Weg, den wir zurücklegen müssen. Wir müssen all das befreien, was sich als Lehmschicht darüber gelegt hat. Und die meisten Lehmschichten sind für unseren Schutz da, dafür, dass wir uns nicht so wertlos vorkommen, so uninteressant, so schwach, und dass wir unsere Scham nicht immer so stark fühlen müssen. Dafür sind all unsere inneren und äußeren Kämpfe da, allein dafür, dass wir das alles nicht wieder schmerzhaft fühlen müssen.
Viele meinen jetzt, es wäre ein schwerer Weg, mit viel Anstrengung und Mühe verbunden, nur unter zertifizierter und ausgebildeter Anleitung überhaupt möglich. Das das alles hilfreich sein kann sei unbenommen, doch der Weg muss nicht schwer sein: "Das Joch ist milde, und der Weg ist leicht."
Oft sind es nur ganz kleine innere Bewegungen und Veränderungen, die dafür sorgen, dass wir wieder Klarheit, inneres Mitgefühl, Offenheit und Ruhe empfinden und aus dieser Haltung heraus nicht mehr aus Ärger, Wut, depressiver Verstimmung oder Traurigkeit reagieren, sondern souverän und klar, mitfühlend und freundlich.
Alles ist bereits gut
Oscar Wilde wird gerne mit folgendem Satz zitiert: "Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende." Und nun können wir sagen: "Am Ende ist bereits alles gut, dort wo es tiefer nicht geht, ist immer schon alles gut." Nur wir können es nicht immer sehen, und vielleicht sollten wir es auch nicht immer vor uns hertragen, aber tief in uns dürfen wir es wissen, dürfen es wie ein in Worte gekleidetes Sakrament in unserem Herzen zelebrieren, weil es uns hilft, in dieser chaotischen und gefährlichen Welt auf das Gute und Heilsame zu schauen, auf Gott und auf den Christus in uns.