Weihnachtsgruß 2021

Liebe Freundinnen und Freunde der Cella!

Nur zu wenigen besonderen Anlässen singen wir in unserer Hauskirche Gregorianischen Choral. Ein Gesang, den wir jedes Jahr zu Beginn der Weihnachtsmesse singen, ist uns Brüder aber besonders ans Herz gewachsen: der Introitus Puer natus est nobis.

Puer natus est nobis, et filius datus est nobis: cuius imperium super humerum eius: et vocabitur nomen eius, magni consilii Angelus. Cantate Domino canticum novum: quia mirabilia fecit.

Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt; dessen Herrschaft ruht auf seinen Schultern, und er wird mit Namen gerufen: Großen Ratschlusses Bote. Singt dem Herrn ein neues Lied; denn Wundertaten hat er vollbracht

Die Verse sind dem Buch des großen adventlichen Propheten Jesaja entnommen (Jes  9,5) und mit einem Psalmvers, der zum Lobgesang für Gott (Ps 98,1) auffordert, verbunden.

Jesaja beschreibt in den ersten sechs Versen des neunten Kapitels die Verheißung der Geburt des göttlichen Kindes. Die vollständige Textfassung hat ihren Platz in der dritten Nokturn der mitternächtlichen Vigil, bei uns ist sie als alttestamentliche Lesung in der Christmette zu hören:

Das Volk, das da wandelt in Finsternis, schaut ein großes Leuchten. Die im Land des Schattens wohnen – ein Licht ist über ihnen aufgestrahlt.
Reich machst du den Jubel, groß die Freude. Sie freuen sich vor dir, wie man sich freut zur Ernte, wie man jubelt beim Teilen der Beute.
Du zerbrachst das lastende Joch, die Stange auf ihrem Nacken, den Stecken des Zwingherrn hast du zerschmettert – wie am Tage von Midian.
Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, von Blut besudelt, sie werden verbrannt, werden dem Feuer zum Fraße.
Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft.
Sein Name heißt: ‚Wunderbar‘, ‚Bote des großen Rates‘, Starker Held‘, ‚Vater in Ewigkeit‘, Fürst des Friedens‘.
Groß ist seine Herrschaft, und des Friedens kein Ende!
Er wird sitzen auf dem Throne Davids, er festigt sein Reich und stützt es in Recht und Gerechtigkeit von nun an auf ewig.
Der Eifer des Herrn der Scharen, er wird solches vollbringen.
(Übersetzung: Benediktinisches Antiphonale, Münsterschwarzach 1997)

Ja, dieser ganze Text schwingt bei uns noch mit, wenn wir am ersten Weihnachtstag den Introitus anstimmen. Da erscheint vor dem inneren Auge vor allem das doppelte Gegensatzpaar „Finsternis“ und „Licht“ – Symbolbegriffe der eschatologischen Theologie, die ja das endzeitliche Tun Gottes mit dem Schöpfungsgeschehen vergleicht. Daneben erklärt sich aus Psalm 49,20 und Psalm 58,9, dass „Licht sehen“ „leben“ bedeutet. Demgegenüber ist, wer in der „Finsternis“ wohnt und wandelt, bereits im „Reich des Todes“
Die Worte Jesajas, der ja auch eine gesellschaftliche Botschaft verkündet, suggerieren zunächst eine Veränderung der politischen Lage, deuten aber eher in die Richtung, dass sich die bestehenden Verhältnisse radikal ändern werden: Der Prophet verkündet, dass sich die Not der Menschen dadurch wendet, dass ihnen im Licht die gnädige, hilfreiche Gegenwart Gottes, durch die sie Rettung und Heil erfahren, aufstrahlt.
Die Verheißung, die Ambrosius von Mailand in seinem Hymnus „Veni redemptor gentium“ in Worte gefasst hat, erfüllt sich an Weihnachten:

Glanz strahlt von der Krippe auf, neues Licht entströmt der Nacht. Nun obsiegt kein Dunkel mehr, und der Glaube trägt das Licht. (GL 227,4)

Dieses aufstrahlende – noch nicht vom Schatten des Kreuzes verdunkelte – Licht löst einen unermesslichen Jubel aus; denn die Unfreiheit, die Unterdrückung, die Fronarbeit, all dies gehört der Vergangenheit an.

Wie am Midianstag, an dem Gideon die zahlenmäßig weit überlegenen Midianiter mit nur 300 Mann vernichten geschlagen hatte – wobei Jahwe der eigentliche Retter war (vgl. Ri 7,2) –, so erwartet Jesaja eine erneute Rettungstat Jahwes bei der Geburt des Messias. Die gesamten feindlichen Rüstungen fallen und werden vernichtet. Damit ist jegliche zukünftige Gefahr gebannt und der Friede gesichert.

Damit gehören Unfreiheit und Unterdrückung nicht nur der israelitischen Vergangenheit an, sondern auch unserer eignen. Durch die Geburt des göttlichen Kindes ist auch der Beter des einundzwanzigsten Jahrhunderts von der Unfreiheit, der Unterdrückung und der Fronarbeit befreit. Welch tröstlicher Gedanke...

Ungleich trostreicher aber ist das Wissen darum, dass Jesaja nicht über die Geburt irgendeines Gottkönigs orakelt, sondern dass er vielmehr eine echte Geburt ankündigt. Dabei ist das Wissen von der Abhängigkeit des judäischen Königsritual vom ägyptischen und dessen Königsideologie nicht unwichtig.

Wurde einerseits in Ägypten die wunderbare Geburt des neuen Pharao erst am Tag seiner Inthronisation verkündet, so bedient sich Jesaja andererseits dieser Verheißung gut 700 Jahre vor der Geburt des Messias.

Mit seiner Ankündigung: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“ will der Prophet weder auf die Geburt des Messias noch einen davon unterschiedenen Zeitpunkt seines Herrschaftsantrittes hinweisen. Vielmehr deutet er an, dass der Messias, der der Welt geschenkt wird, sogleich seine Herrschaft antreten wird.

Anders als in der ägyptischen Vorstellung, bei der der Pharao als wirklicher Sohn Gottes angesehen wird, geht es Jesaja nicht um eine leibliche Abstammung des Messias von einem (göttlichen) Vater, sondern um eine Legitimation des Messias im Sinne von Psalm 2,7: „Verkünden will ich den Beschluss des Herrn. Er sprach zu mir: ‚Du bist mein Sohn. Ich selber habe dich heute gezeugt.‛“ Der Messias ist der von Gott rechtmäßig eingesetzte Herrscher.

Von den vier Namen, die Jesaja dem Messias mit auf den Weg gibt (vgl. Jes 9,5) haben die fränkischen Kantoren für den Introitus nur einen ausgewählt: „Großen Ratschlusses Bote“. „Wunderbarer Ratgeber“, wie verschiedene Bibelausgaben an dieser Stelle den Originaltext übersetzen, drückt nicht annähernd aus, was gemeint ist: Magni consilii Angelus bezeichnet im ursprünglichen Text den „Planer von wunderbaren Taten“, ein Begriff, der weder in Ägypten noch in Judäa auf den König angewandt werden konnte, sondern sich allein auf Jahwe, den Gott Israels, bezieht. Dabei geht es aber nicht um Wundertaten in landläufigen Sinn, sondern um Gottes Heilstaten in der Geschichte.

Wenn dieser, ursprünglich nur Jahwe zuzurechnende, Name den Messias bezeichnet, wird dieser auf eine Stufe mit Gott gestellt, weil er dessen Idee von der Welt im Sinn hat und in dieser Welt verwirklicht.

Ja, diese Gedanken kommen uns in den Sinn, wenn wir am Weihnachtsmorgen den Introitus Puer natus est nobis anstimme, jenen zarten, einfühlsamen Gesang der römisch-fränkischen Kantoren des 8. Jahrhunderts: Gott ist nicht mit brachialer Gewalt auf Erden erschienen, sondern er wurde in Gestalt eines Säuglings einer von uns. Und es ist unsere freie Entscheidung, ob wir ihm Glauben schenken und in seinem Sinne die Welt mitgestalten, sie göttlicher und damit menschlicher machen.

In diesem Jahr laden wir Sie und Euch herzlich ein, diesen Gesang mit uns zu singen und auf seinen Klang zu hören. Über den QR-Code oder die Internetadesse können wir feiernd und betend verbunden sein. Dazu laden wir herzlich ein.

In diesem Sinn wünschen wir Ihnen und Euch ein gesegnetes Weihnachtsfest und Gottes Geleit für das kommende Jahr.

Die Cella-Brüder

Nikolaus, Karl-Leo und David


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