Es ist dir sicherlich auch schon aufgefallen: Es gibt eine richtige Krimiflut, weil Krimis immer gehen, weil Krimis spannend sind und weil es einfach auch viel Stoff gibt. Was macht Krimis so interessant, dass sie stets ein Millionenpublikum anziehen?
Die Spannung?
Die sympathischen Schauspieler?
Der in eine Lebenskrise geratene Kommissar? Ich glaube, dass es etwas anderes ist. Denn bei einem guten Krimi machen wir selbst eine kleine Reise mit, eine Wandlungsreise, die hoch emotional ist. Und diese Reise führt uns durch verschiedene innere Erlebnisweisen oder anders ausgedrückt, durch verschiedene Bewusstseinszustände. Es beginnt alles mit der abscheulichen Tat, die wir ablehnen und wo wir das Gefühl des Unrechts und vielleicht sogar der Wut in uns wahrnehmen können.
Dann folgt der Übergang zum nächsten Zustand: wir fragen uns: wer war es und folgen dem Suchen des Privatdetektivs oder des Ermittlerteams. Es ist diese offene Frage, die uns immer wieder zur nächsten Hürde und zur nächsten Erkenntnis führt. Wir Menschen mögen keine Fragen ohne Antwort, daher müssen wir auch Zeitungsartikel lesen und Videos sehen, die uns eine Frage stellen. Wir brauchen eine Antwort.
Und schließlich ist es soweit: Die Puzzleteile fügen sich zusammen, eine Info fehlt noch und dann ist es klar, wer es war. Die Frage ist beantwortet und alles ist wieder gut. Der Schurke kommt ins Gefängnis, die Hinterbliebenen bekommen das Gefühl der Genugtuung und wir sind zufrieden und können den nächsten Film sehen. Diese drei Bewusstseinszustände löst fast jeder Krimi in uns aus. Und er beginnt mit einem Zustand von Enge und endet mit dem Zustand von Weite und Vollkommenheit. Wir sind eingetaucht in das beruhigende Bewusstsein, dass die Frage beantwortet und die Gerechtigkeit wieder hergestellt ist. Die Ordnung hat wieder gesiegt.
Alles ist Bewusstsein
Aber nicht nur im Krimi geht es um Bewusstseinszustände, nein, im Grunde geht es bei allem, was wir tun - auch hier bei diesem Gottesdienst um nichts anderes als darum, unseren Bewusstseinszustand, unser inneres Erleben zu verändern. Wenn ich dauerhaft am Ende mit dem gleichen inneren Erleben nach Hause gehe, wie ich hineingegangen bin, oder sogar mit einem, das ich negativ bewerte, dann werde ich irgendwann nicht mehr kommen. Bei allem, was wir tun, geht es immer nur darum, in einen besseren Bewusstseinszustand zu kommen. Wenn ich dir einen Schrecken einjage, dich zum Lachen bringe, dich ärgere, mit dir über Gott und die Welt spreche oder wir gemeinsam ein Fußballspiel ansehen. Immer gehören ganz unterschiedliche Bewusstseinszustände dazu.
Und diese verschiedenen Bewusstseinszustände sind geordnet in höhere Zustände, die wir meistens als einen Zustand der Weite und Erhabenheit wahrnehmen, und in niedrigere Zustände, die im schlimmsten Fall als Angst und Sorgen wahrgenommen werden. Zustände, die im schlimmsten Fall als Angst und Sorgen wahrgenommen werden. Höher und niedriger ist der Tatsache geschuldet, dass unser Bewusstsein sich räumlich versteht und strukturiert.
Jesus, der weise Lehrer
Es war die Erkenntnis einer evangelischen Theologin, die mir half zu verstehen, was das mit der Bibel und mit Jesus zu tun hat. Ihre These lautet, dass wir Jesu Worte besser verstehen können, wenn wir berücksichtigen, dass Jesus die Menschen in unterschiedlichen Bewusstseinszuständen angesprochen hat. Er fühlte und wusste, wo die Menschen jeweils standen, die er vor sich hatte, und welche Worte sie brauchten. Manche brauchten Eindeutigkeit, weil sie mit Mehrdeutigkeit nicht umgehen konnten und dafür vielleicht erst einmal eine innere Struktur aufbauen mussten. Anderen konnte er tiefer in sein Geheimnis mit hineinnehmen, weil sie es schon fassen konnten - ihr Bewusstseinszustand war schon so weit und so tief, dass es sie nicht überfordert hätte. So wird für mich dann manche Widersprüchlichkeit in den Evangelien verständlich und macht deutlich, was für ein weiser und großartiger Lehrer Jesus war.
Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.
Joh 15,9
Das neue Verständnis
Die Abschiedsreden Jesu, die wir in diesen Ostersonntagen lesen können, gehören gewiss zu den komplexesten Texten in den Evangelien, die eine hohe Theologie aufweisen und manchmal dabei auch etwas trocken und streng wirken - nicht immer leichte Kost für einen sonnigen Sonntagabend. Aber wie können wir uns nun diesem Text nähern? Und da komme ich auf die Bewusstseinszustände zu sprechen, von denen ich eingangs gesprochen habe. Denn gerade diese Texte, wie überhaupt das ganze Johannes-Evangelium, können wir nicht mit unserem Alltagsbewusstsein verstehen, dass zwischen Einkaufen und Staubsaugen eine gewisse Enge aufweist, wir können sie vermutlich auch nicht gut verstehen, wenn wir gerade völlig enttäuscht sind oder uns wie vom Leben abgeschnitten fühlen. Solche Texte brauchen eine ganz besondere innere Disposition, eine bestimmte Art zu verstehen und zu erleben. Für unser heutiges Evangelium brauchen wir den weiten Blick, den man vielleicht hat, wenn man nach mühsamen Wandern plötzlich auf einem Berggipfel steht oder zufrieden und dankbar auf eine gelungene Phase des eigenen Lebens blickt oder gerade erfüllt ist vom Leben und vom Glück, von Gott und der Stille.
Wenn wir dann diese Zeilen lesen, kann es sein, dass wir sie anders verstehen, dass wir Liebe anders verstehen, die Liebe, die hier und im Grunde im ganzen Evangelium so wichtig ist.
Liebe als Bewusstsein
Was ist diese Liebe, die hier so häufig vorkommt und zu einem Zentrum wird? Es ist zunächst nicht die Liebe als reine Emotion - wir Menschen erleben Liebe vor allem emotional, so sind wir Menschen. Doch wenn es um die Liebe geht, die hier im Evangelium angesprochen wird, dann müssen wir eben weiter denken, müssen unsere menschliche Perspektive ein wenig verlassen - müssen unser Bewusstsein heben und weiten.Der Jesuit, Theologe und Paläontologe Teilhard de Chardin hatte sich intensiv mit der Natur und der Evolution beschäftigt, die zu seiner Zeit noch recht neu war. Wie konnte sie in Einklang gebracht werden mit dem Christentum? Und es gehört zu seinen Grundannahmen, dass die Mitte des Kosmos und der Evolution niemand anderes als Christus selber ist und dass die grundlegende Kraft, die von diesem Christus ausgeht und in der Evolution und in dieser Welt zugegen ist und wirkt, die Liebe ist.
Wie Atome lieben
Die Liebe als verbindende Kraft, die wir ja überall entdecken können. Denn wenn Teilhard de Chardin recht hat, dann können wir diese Liebe ja nicht nur an uns Menschen erfahren, sondern dann gehört diese Liebe jeder Ameise und jedem Atom. Das Zusammenspiel von Protonen, Neutronen und Elektronen mit dem Atomkern, wir können es als rein physikalische Größe sehen, aber wir dürfen es auch als ein Liebesverhältnis verstehen. Und auch das Zusammenspiel der Schafherde ist nicht nur dem Instinkt der Tiere und ihren grundlegenden Bedürfnissen geschuldet, sondern Ausdruck einer Liebe, an der auch sie teilhaben. Und der Mond und die Erde, es geht nicht nur um irgendwelche physikalisch messbaren Kräfte - auch hier ist Liebe mit im Spiel. Und natürlich treffen wir diese Liebe auch bei Menschen an und diese Menschen erfahren sie emotional, als eine Variante und aus einer Freiheit heraus, die diese Liebe in dieser Welt zu etwas Besonderem macht. So durchwebt die göttliche Liebe diese Welt - alle haben daran teil. Und diese Liebe ist nach Teilhard de Chardin auch die Kraft der Transformation, der Wandlung und Entwicklung, die wir auch nicht nur bei uns Menschen sehen können, sondern gerade in diesen Wochen sehen wir es überall. Überall ist diese liebende Kraft Gottes am Werk und wandelt, lässt wachsen und sich entwickeln. Und auch hier können wir ganz selbstverständlich diese transformative Kraft auch an uns erkennen, wie sich ein Mensch entwickelt, wie Herzen sich öffnen und wie aus einem Säugling mit der Zeit ein reifer Mann oder eine reife Frau wird.
Weil es in allem ist
Und so wird die Liebe, von der Jesus spricht, zur treibenden Kraft in unserem Kosmos und damit in allem. Wir tragen alle diese Liebe in uns - jeder, jede und jedes. Und diese Liebe ist nicht da, um sie zu behalten, sondern um sie zu schenken, weiterzugeben, in anderen zu wecken und in dieser Welt wirken zu lassen - sie zu leben
Und sich dessen bewusst zu sein, zu erkennen, dass diese Liebe in allem ist und in allem wirkt, das heißt es in der Liebe zu bleiben, wozu uns Jesus heute aufruft.
Mehr geht nicht
Die Liebe ist der höchste und weiteste Bewusstseinszustand, den wir einnehmen können. Wenn es uns gelingt, in diesen inneren Zustand, in dieses Erleben zu kommen, dann beginnen wir in allem diese Liebe zu erkennen, dann bringt uns eine Ameise zum Weinen, dann berührt uns das Turteln der Tauben, dann sind wir bewegt von der Kraft eines Steines in unserer Hand und der Blick in die Sterne lässt uns niederknien. Jeder Mensch wird dann eine tiefe Verneigung wert sein, ist Träger und Trägerin der Liebe, durchwebt, geprägt und gehalten von dieser Kraft.
Den Weg ebnen
Und vielleicht kann ich es jetzt so ausdrücken, dass die ganze Botschaft Jesu und all sein Wirken und alle Gottesdienste, Meditationen, Wallfahrten und Pilgerreisen, alle Gebete und Rituale nur dafür da sind, dass wir schrittweise, von einer Stufe zur nächsten in unsere Bewusstsein und inneren Erleben aufsteigen, um dann dort zu landen, wo wir die Liebe verstehen - natürlich nicht mit unserem Kopf, sondern wirklich in unserem Herzen. Immer scheint es nur darum zu gehen, diesen Weg zu ebnen und anzuschieben.
Die Liebe will dich nicht vermissen
Es ist vielleicht noch ein weiter Weg bis dahin - wer kann von sich behaupten, diesen Zustand schon erreicht zu haben? Aber das ist eben das Besondere dieser Kraft, dass sie uns immer entgegenkommt, dass sie bereit ist am Ende, das Fehlende zu ergänzen und auszugleichen. Denn die Liebe will niemanden vermissen, niemanden verlieren: nicht die Ameise, nicht das Schaf der Herde, nicht den verlorenen Sohn, und auch dich, auch dich ganz bestimmt nicht.