Am 20. Januar wurde im Erzbistum München das Missbrauchsgutachten, das von der Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl erarbeitet wurde, vorgestellt. Es ist nicht das erste Gutachten dieser Art, aber dennoch sind viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche aufgebracht – und das zu Recht.

Was die Verantwortlichen in den Diözesen über Jahrzehnte praktiziert haben, schlägt dem Fass den Boden aus. Nicht wenig, sondern sehr viele nehmen das zum Anlass, ihren Kirchenaustritt zu erklären. Simon Benne, Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nennt es „eine kirchliche Kernschmelze“.


Wie Gott uns schuf

Beinahe parallel zur Veröffentlichung des Gutachtens sendete die ARD am Montag vergangener Woche zur besten Sendezeit eine Dokumentation mit dem Titel „Wie Gott uns schuf“, in der sich 100 Mitarbeitende der katholischen Kirche als queere Menschen outeten. Parallel dazu ging im Internet eine Seite #outinChurch online: über hundert hauptamtliche, ehemalige und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche in Deutschland outeten sich dort als LGBTIQ+. Ihre Forderung ist „eine Kirche ohne Angst“.


Glaube kann frei machen

Der weiter oben schon zitierte Simon Benne hat am vergangenen Wochenende einen ganzseitigen Artikel geschrieben, in dem er erklärt, warum er (noch) katholische bleibe. Er schreibt darin:

„Ich spüre … eine Ahnung, dass es etwas gibt, das größer ist als wir Menschen. Dieses Gefühl macht den, der glaubt, sehr klein und zugleich sehr groß. Es relativiert alle Mächte der Welt, übrigens auch die Macht von Päpsten und Bischöfen. Der Glaube kann trotz allem immer noch ein Garant von Freiheit sein. Darauf will ich nicht verzichten.

Meine Loyalität zum Bodenpersonal hat inzwischen allerdings klare Grenzen, mein Vertrauen ist erschüttert. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir beide wieder zusammenfinden können, die katholische Weltkirche mit ihren 1,3 Milliarden Mitgliedern und ich: Die Kirche muss sich ändern. Das wird sie aber nicht, wenn alle weggehen, die so denken wie ich. Dann wird sie ein sektiererischer Haufen, in dem Fundamentalisten sich alles unter den Nagel reißen können, was mir heilig ist…

Mut macht mir, dass wir längst die Mehrheit stellen. Mittlerweile vermutlich bis in die Reihen der deutschen Bischöfe hinein. In meiner Heimatgemeinde haben Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat kürzlich über die Erklärung ‚Segen für die Welt‘ beraten, die Recht für homosexuelle Paare einfordert. Beide Gremien haben zugestimmt, wohlgemerkt ohne eine einzige Gegenstimme.“


Gehen oder bleiben?

Das ist die Frage, die sich in diesen Tagen viele stellen – auch unter uns „Berufschristen“. Bei Vielem, was an und in der katholischen Kirche faul ist, ist es nur verständlich, wenn man sich wütend und enttäuscht abwendet. Aber etwas verändern kann ich nur, wenn ich bleibe.

Schreibe gerne im Kommentar, wie es Dir in diesen Tagen mit unserer Kirche geht.

Bruder Nikolaus


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Kommentare

  • Ich bin natürlich noch einmal enttäuscht, aber nicht wirklich überrascht. Nach allem, was bisher schon bekannt war, verwundert mich das nicht. Immerhin ist es gut, dass das Gutachten auf dem Tisch ist.
    Meine Kirchenmitgliedschaft stelle ich bislang nicht in Frage. Immerhin bin ich schon mit und trotz des Wissens um die grundsätzliche Missbrauchsproblematik und Machtstruktur eingetreten und habe den ganzen Ballast nach einigem Zögern wissend in Kauf genommen, mit angenommen. Ich hoffe sehr, dass der mühsame Weg zu Veränderungen schon begonnen hat.

  • Ich bin „ehren“amtl. sehr aktiv, merke aber einen immer drängenderen Rückzugswillen. Will mich nicht mehr aufreiben in Strukturen, die mir nicht gut tun. Vor allem der Umgang mit Ehrenamtlichen, der eben kein wirklicher Umgang ist. Plane, in der Gemeinde ein Sabbatjahr zu nehmen. In den Exerzitien im Juni nehme ich das in den Blick.

    • Das ist nachvollziehbar, Evelyn.
      Ich finde es positiv, dass Du nicht einfach gehst, sondern das in den Exerzitien klären willst!

  • Ich bin evangelisch, dennoch möchte ich was dazu sagen. Danke an alle, die bleiben und versuchen die Strukturen, an denen sie leiden, zu ändern. Danke denen, die den Mut aufbrachten, sich zu outen.
    Ich wünschen Ihnen Kraft und Gottes Segen, diesen Weg weiter zu gehen

  • Ich bin froh, dass ich einmal meine Seelennöte loswerden kann. Ich bin vor ca. 2 Jahren erst wieder in die katholische Kirche eingetreten, weil sie mein Zuhause ist. Ich wusste auch damals um die Missstände, aber ich habe nicht geahnt, dass immer noch schlimmere Dinge ans Tageslicht kommen. Ich verzweifle an meiner Kirche, und meine Hoffnung ist, dass die Menschen an meiner Basis anders sind. Ich werde nicht wieder austreten, aber ich möchte Gehör finden und dazu beitragen, dass unsere Klagen immer lauter werden und irgendwann nicht mehr überhört werden können. Ich kann beim Glaubensbekenntnis an der Stelle „die heilige katholische Kirche“ nicht mehr weiterbeten. Es kommen nur noch Tränen.

    • Danke für die ehrlichen Zeilen. Das Unverständnis und die Schmerzen sind nur zu verständlich. Dass Sie Worte im Glaubensbekenntnis nicht aussprechen können, zeigt nur, wie stark das Vertrauen erschüttert ist. Das Problem ist, dass die Täter und die Vertuscher das Tun von deutlich mehr Rechtschaffenen an der Basis diskreditieren.
      Was Karl Barth, reformierter Theologe, 1947 als theologische Motto formuliert hat: „Ecclesia semper reformanda – die Kirche muss sich immer erneuern“, gilt nicht nur für die evangelische, sondern auch – und erst recht – für die katholische Kirche.

  • Ich bin gegangen, schon vor langer Zeit. Die Kommentare zu meiner Homosexualität von seitens des Vatikans konnte ich nicht mehr hören. Ich wollte nicht von meinen Mitmenschen „bemitleidet“ werden, wie es der Katechismus beschrieb, sondern als Gottes Geschöpf gesehen werden, so wie ich bin. Von Gott geliebt, so aber ich mich immer gesehen und tue es noch heute in einer christlichen Kirche außerhalb von Rom.

    • Das ist vollkommen nachvollziehbar! Die (Amts-)Kirche hat sich da über lange Zeit schuldig gemacht und müsste an und für sich in Sack und Asche gehen…

  • Mitglied der altkatholischen Kirche zu werden löst vielleicht manche Probleme. Auch der sog. Synodale Weg würde sich erübrigen,oder?

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