Wenn Miss Marple ermittelt und Sherlock Holmes seine Untersuchung beginnt, wenn im Tatort und im Polizeinotruf der Mord getätigt wurde und die Kommissare und Kommissarinnen ihre Arbeit aufgenommen haben, dann erwarten wir eine Suche nach dem Täter - oder war es doch eine Täterin? Befragungen, Observationen, kriminaltechnische Untersuchungen, die SpuSi (als Krimi-Fachleute wissen ja alle, dass das Spurensicherung heißt) gehen ans Werk und werden uns zielsicher zunächst den falschen Täter bringen, um dann fast im letzten Augenblick - es bleiben noch fünf Minuten Sendezeit - die richtige Täterin zu präsentieren. Wer hätte gedacht, dass es diese Person war? 

Aber nun ist es vollbracht. Zum Ende wird eben noch die Geschichte im Hintergrund rund gemacht und schon kann der Abspann laufen. Wir sind zufrieden: Der Schurke ist hinter Gitter und wir können uns nach getaner Arbeit einer anderen Sendung widmen.

Aber was wäre, wenn der Tatort plötzlich immer damit enden würde, dass kein Täter oder keine Täterin gefasst wird? Wenn jedes Verbrechen ungesühnt bliebe, weil sich einfach niemand ermitteln lässt? Der Tatort wurde binnen eines Jahres eingestellt werden.
Wer will sowas auch sehen?

Kein Krimi ohne Täter

Wir sind darauf geeicht, dass am Ende eines Krimis alles wieder gut ist, dass der Täter ermittelt und gefasst wurde. Es ist fast nicht auszuhalten, wenn das einmal nicht gelingt oder wenn in einer Romanze im Fernsehen das vermeintliche Paar sich nicht findet, sondern getrennte Wege ins Leben geht.

Leben im Ungewissen

Das Ungewisse ist uns unheimlich, befremdet uns, macht uns unruhig,. Es muss eine Klarheit her, es muss aufgelöst werden: ein Happy End, mag kommen was will.

Aber das Leben ist so nicht. Im Leben müssen wir mit dem Ungefähren und dem Unklaren leben. Wir müssen ertragen, dass es Fragen gibt, die niemand beantwortet und auf die auch ich keine Antwort finden werde. Ich muss damit leben, dass auch Dinge und Zusammenhänge wahr sein können, ohne dass ich sie beweisen kann. Ich muss damit leben, dass am Ende nicht das Happy End steht, dass schließlich nicht der Schuldige zur Rechenschaft gezogen wird. Ich muss damit leben, dass sich nicht die Liebe des Lebens in mein Leben drängt und die Romanze ihren Lauf nimmt, wie es Linda Lindström hätte besser nicht erfinden können.

Die Versuchung der einfachen Antworten

Das Ungewisse gehört zum Leben und es gehört zum Glauben. Und es ist eine eigene, aber notwendige Kunst, diese Ungewissheit auszuhalten und daran nicht zu zerbrechen, oder der Versuchung zu verfallen, schnelle und einfache Antworten anzunehmen, die mein Bedürfnis einer Abrundung befriedigt.

Der Kreis in der Phantasie

In der Gestaltpsychologie hat man herausgefunden, dass wir immer geneigt sind, einen Kreis, der nicht ganz geschlossen ist, dennoch als Kreis wahrzunehmen und zu bezeichnen. Wir phantasieren einfach das fehlende Stück dazu. Es ist unsere Tendenz nach Ganzheit und Vollständigkeit. Und das zeigt sich auch in unserem Bedürfnis im Krimi oder dem Liebesfilm, dass am Ende das zu erwartende Ergebnis steht.

Aber wir müssen zugleich eingestehen, dass das Leben fragmentarisch ist und oft der Kreis bruchstückhaft bleibt. Das ist nicht nur ein Malus, es ist auch eine Chance. Denn aus dem Ungewissen entsteht Kreativität, es schafft Raum für eigene innere Bilder, es fragt an, es fordert von mir, eine eigene Antwort zu entwickeln.

Es ist nicht die Gewissheit, die uns voran bringt, es ist die Ungewissheit, die Frage ohne Antwort.

Projekt Fastenzeit

Sich dieser Ungewissheit und Mehrdeutigkeit auszusetzen, könnte ein schönes Projekt für die Fastenzeit sein. Verzicht üben wir ja schon seit einem Jahr, da muss nicht unbedingt etwas hinzugefügt werden. Aber die Ungewissheit, in der wir leben, aushalten zu lernen, könnte unser momentanes Leben bereichern und ihm eine neue Wende schenken.

Möge es uns gelingen!

David Damberg


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