„… sind wir bei Kräften, werden es achtzig.“
Woche für Woche singen wir dienstags in den Laudes diesen Vers: „Siebzig Jahre währt die Zeit unsres Lebens, sind wir bei Kräften, werden es achtzig.“ ( Ps 90,10) – Gerade November mit seinen katholischen Gedenk- und Feiertagen Allerheiligen, Allerseelen, mit dem Ewigkeitssonntag, den unsere protestantischen Schwestern und Brüder begehen, steht das Totengedenken im Mittelpunkt: Wir denken an liebe Freunde, die viel zu früh gestorben sind; wir denken an Verwandte, eventuell unsere Eltern, die uns lange Zeit geleitet und begleitet haben, aber nun nicht mehr auf Erden sind.
Dabei mahnt der heilige Benedikt in seiner Ordensregel im Kapitel über „die Werkzeuge der geistlichen Kunst“, sich den drohenden Tod täglich vor Augen zu halten (vgl. RB 4,47), also ständig und immer an den Tod zu denken.
Was ist der Sinn des Totengedenkens?
Was ist der Sinn, sich den drohenden eigenen Tod vorzustellen? Nun, Psalm 90, aus dem der eingangs zitierte Satz stammt, gibt zwei Verse später die Antwort: „Unsere Tage lehre uns zählen! Dann erlangen wir ein weises Herz.“ (Ps 90,12)
Das wünscht auch Benedikt seinen Mönchen, dass ihre Herzen weise werde sollen, wenn er im ersten Satz des Prologs seiner Regel schon schreibt: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!“ (RB Prol 1)
Wer mit dem Ohr des Herzens Gottes Anruf hört und dies durch sein Tun unterstreicht, der lebt nach den Geboten Gottes, und gestaltet durch sein Handeln die Welt um vieles mehr menschlicher.
Psalm 90: Betrachtung der Sterblichkeit des Beters angesichts der Ewigkeit Gottes
„Ehe geboren wurden die Berge, ehe du kreißen ließest Erde und Festland, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott. Zum Staub zurückkehren lässt du den Menschen, du sprichst: Ihr Menschenkinder, kehrt zurück!“ (Ps 90,2f)
Dies ist nicht nur eine Feststellung über das Dasein des Menschen, dass wir eben endliche Geschöpfe sind, sondern auch „ein hymnisches Bekenntnis zum ‚Du‘ Gottes hin“ (Alfons Deissler), dass aus dem Dunkel des menschlichen Daseins in die lichte Gegenwart Gottes gesprochen wird.
Psalm 90 eröffnet einen neuen Blick auf Jesus
Jesus Christus hat das Ohr seines Herzens geneigt und ganz aus dem Willen des Vaters gelebt – und dennoch musste er sterben. Aber ihn konnte der Tod nicht festhalten und ihm wurde zuteil, was die abschließenden Verse aus Psalm 90 sagen:
„Herr, kehre dich uns zu“ – Wie lange noch?
Lass es dir leid sein um deine Knechte“
Sättige uns am Morgen mit deiner Huld“
Dann wollen wir jubeln und uns freun all unsere Tage.
Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast,
so viele Jahre, wie wir Unglück sahn.
Lass deine Knechte schauen dein Walten,
und ihre Kinder dein herrliches Tun,
Die Güte des Herrn, unsres Gottes, komme über uns!
Lass uns das Werk unsrer Hände gedeihen!
Ja, lass gedeihen unsrer Hände Werk!“ (Ps 90,13-17)
Jesus ging als Erhöhter ganz in Gottes Lebensfülle auf, dass er selbst lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit (vgl. Offb 1,18; 11,15). – Wir sind noch auf dem Weg dorthin. Wir dürfen hier noch klagen und weinen, aber das ewige Licht leuchtet schon jetzt auf.
Daher können wir Psalm 90 im Hinblick auf Hebr 7,24f beten:
Jesus „aber hat, weil er in Ewigkeit bleibt, ein unvergängliches Priestertum. Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten.“
Ich finde das, auch gerade angesichts des Todes, sehr trostvoll!
Lieber Bruder Nikolaus, danke für Deinen Text. Vor einigen Tagen ist ein Mensch gestorben, der sehr wichtig für mich war. Ich habe ihm als Seelsorger, Musiker und als jemand, der mich künstlerisch ermutigt hat, viel zu verdanken. Die Worte seiner Todesanzeige haben mich tief berührt und ich möchte sie gerne mit Euch teilen: „Im Stundenglas der Zeit reift stets der Sand zur Ewigkeit, verwandelt Trauer, Tränen, Leid zu Sternenstaub der Achtsamkeit.“ Und weiter: „Der Herr ist sein Hirte, nichts wird ihm mehr mangeln. Und daran glauben wir – mit ihm.“ Das hat seine Familie geschrieben. Es spricht für sich.
Liebe Mirijam,
gerne!
Ich glaube, dass kennen wir alle, dass Menschen uns inspiriert haben und dann fahlen. Da empfinde ich unseren Glauben, dass wir nicht einfach verschwinden, sondern ein – für uns jetzt noch unvorstellbares – neues Leben beginnt, einfach sehr trostreich.
Danke, lieber Bruder Nikolaus. Das empfinde ich genauso.
Die Tage zu zählen, vor allem, wenn es mehr Vergangenheit als Zukunft gibt, bereichert die Gegenwart. Man bekommt den Blick auf die Essenz. Ballast verdampft. Gleichwohl wächst das Unbehagen der Ungewissheit. Aber vielleicht ist das nur ein Vorübergang.
Lieber Herr Fahlbusch,
danke für Ihre Rückmeldung.
Ich denke, dass das „Unbehagen der Ungewissheit“ einfach menschliches Empfinden ist, und ich glaube und vertraue fest darauf, dass nach unserem Tod ein neues, – für uns Geschöpfe – unvorstellbares Lebenvor auf uns wartet…
So wird es sein, ebenso, wie pränatal sicherlich andere Vorstellungen herrschten. Denn immerhin lebt in diesem zustand beseelte Materien, um es einmal nüchtern auszudrücken.