Liebe Brüder,
Liebe Freunde und Gäste der Cella!
Feste sind da, um innezuhalten in einem feierlichen Rahmen, sie mit Menschen zu begehen, die uns nahe sind und mit Gästen, die in einem Kloster nie fehlen sollten. Schön, dass Ihr alle da seid.
Feste sind da, um einen Rückblick zu halten auf das, was geworden ist und uns geprägt hat.
Feste sind auch da, um einen Ausblick zu wagen auf das, was werden und leben will.
Lieber Karl -Leo, mit deiner Anfrage im zweiten Versuch, ob ich die Predigt halten könnte, habe ich mich gefragt: „Was kann ein Ex-Mönch den Brüdern an Impuls und Gedanken mit auf den Weg geben an diesem Fest?“ Danke für dein Vertrauen und deine direkte Art, uns verbindet das gemeinsame Noviziat und eine freundschaftliche Lebensbeziehung, die mit den Jahren gewachsen ist, dafür bin ich Dir und den Brüdern sehr dankbar. Unsere regelmäßigen Novizatstreffen im Advent sind schöne und inspirierende Begegnungen in der Cella. Meine Ansprache möchte ich mit der Überschrift versehen: „Die Zeichen am Weg“- suchen – fragen – begegnen.
Ein Suchender zu sein, auf unserem Weg ist nicht nur menschlich, sondern auch Ur – Benediktinisch.
Unser Ordensvater Benedikt ist ein Suchender und ein Visionär seiner Zeit gewesen. Eine Antwort zu finden für sich selbst und die suchenden Menschen seiner Zeit. Lebenszellen zu kreieren für Menschen, die wirklich auf der Suche sind. Ihnen Sinn und Rückgrat geben, sie aufzurichten zu ihrem wahren Mensch- sein mit göttlicher Würde. Das Mönchsein nach meinem Verständnis heute meint zunächst „Mensch werden“ mit allen Facetten des Lebens inmitten vom Leben.
Mit dieser Vision ist auch die Cella St. Benedikt entstanden – Gott zu suchen mitten unter den Menschen in dieser Stadt. Ich durfte dabei sein auf der ersten Fahrt des Umzugs im Schnee und Eis, damals noch in die Voßstr. 54. Eine kleine Celle zu gründen für die Brüder und Menschen, um einen Raum der Suche und Begegnung zu ermöglichen. Dies ist und bleibt eine Herausforderung und Aufgabe zugleich. An dieser Stelle mein persönlicher Respekt und meine Wertschätzung an all die Brüder und Menschen, die hier gewirkt und die Cella geprägt haben, ohne sie wäre sie nicht da, wie sie jetzt ist. Dieser Weg war nicht immer leicht; sich auf neue Brüder und Menschen einzulassen, jeder in seiner Eigenart, auf den Lebenspuls der Stadt, das musste auch schon Benedikt mit seinen ersten Mönchen erfahren.
Lieber Nikolaus, lieber Karl -Leo, lieber David, lieber Abraham, euch ist die Cella anvertraut. Eine kleine Lebenszelle, die inzwischen über die Grenzen der Stadt bei den Menschen bekannt ist. Jeder von euch mit seiner Begabung und Persönlichkeit formt die Cella und ihr werdet von den Menschen und Begegnungen auch geformt. Habt Acht aufeinander, denn es ist heute ein Balanceakt. Zwischen dem, was uns vertraut geworden ist und der Herausforderung, die von uns heute verlangt wird, für ein Morgen. Wir brauchen mehr denn je den Mut zu neuem Denken. Wir brauchen die Bereitschaft, Neues zu wagen. Wir müssen uns wandeln, weil die Welt um uns herum sich wandelt, und zwar so schnell wie nie zuvor.
Und damit noch nicht genug. Seit 24. Februar 2023 ist mitten in Europa Krieg – haben wir noch nichts gelernt? Wohin will uns all das führen? Vielleicht eine dringliche Einladung zu einer neuen Qualität von Bewusstheit? Die Frage ist, ob es uns gelingt, nachhaltig zu lernen. Sind nicht gerade Krisen eine Gelegenheit, unseren Blick zu weiten und zu wichtigen Erkenntnissen zu gelangen? Hin zu einem Leben in Einheit, Verbundenheit, Friedfertigkeit und Liebe? Haben wir uns von unserem wahren Menschsein vielleicht zu sehr entfremdet? Den Kontakt zu uns selbst verloren und uns letztlich auch innerlich von unserem wahren Zuhause entfernt?
Wie begegne ich mir selbst?
Die Nächstenliebe beginnt bei sich selbst. So wie ich mit „Mir“ umgehe, so gehe ich auch mit anderen um - mit meiner Umwelt.
Für diesen Zustand, ob ich in einer Rumpelkammer ohne Licht und Atem lebe oder mein Leib ein Tempel ist, bin ich nur selbst verantwortlich. Und da spreche ich aus eigener Leidens-Erfahrung. „Mein Leib ist (auch) ein heiliger Ort“
Der Begriff „Persona“ lat. „Per-sonare“ = „durchtönen“
Welchen Gedanken und Glaubenssätze lasse ich meinen Leib durchtönen. Welchen Gedanken gebe ich Nahrung, nur diese werden auch wachsen.
Ohne eine persönliche Veränderung, ohne Übergänge, ohne Wandlung ist kein Leben möglich, das Zukunft hat. Diese Wandlung und Heilung kann nur von innen geschehen im Menschen selbst.
Meister Eckhart bringt es auf den Punkt: „Gott wirkt als Innerster aus dem Innersten auf das Innerste aller Dinge“. Wo gibt es noch heute Räume, um das Innerste im Menschen wahrzunehmen, aufzurichten und zu bejahen? Es braucht den Zuspruch eines Menschen, damit ich den Zuspruch Gottes in mir höre. Die Menschwerdung eines Ichs zeichnet sich durch seine natürliche Wertschätzung des anderen und der Gemeinschaft aus, da entsteht ein echtes „Wir“.
Wie kann die wirkliche Begegnung im Miteinander aussehen?
„Begegnung meint das Erkennen, Verstehen und Beantworten eines "Du" (einer anderen Person) durch ein "Ich", das auf das eingeht, was den anderen und ihn selbst bewegt und daher gemeinsames Thema ist.“
Lebensstiftende Begegnung entsteht durch das immer neue Erleben an diesem Tag, in dieser Stunde, in diesem Atemzug. Durch ein menschliches, lebendiges Du, zu dem ich unverstellt in Beziehung trete mit meiner Präsenz.
In dieser Achtsamkeit der Begegnung entsteht etwas Lebendiges, Belebendes, und wir spüren das göttliche Leben, das uns Raum gibt, in dem wir uns bewegen dürfen. Im Emmausgang geschieht diese redselige und herzensoffene Unterredung = das Geschehen selbst ist einem Geschenk der göttlichen Präsenz.
„Es ist nicht die Eigenmacht des Menschen, der hier wirkt, es ist auch nicht reiner Durchgang Gottes“ sagt Buber, „es ist die Mischung von Göttlichem und Menschlichem. Ist das redliche Mit- Gott.“
Denn jeder, der so ein Du anspricht und aufnimmt, spricht auch Gott an, ob er gläubig ist oder nicht.
Wir können sagen: Der Moment der Begegnung ist ein Geschehen, in dem der Mensch eine machtvolle und doch stille Gegenwart als Kraft empfängt, die ihn trägt und ihm vermehrtes Leben ermöglicht. Der Moment der Begegnung ist das kleine Wort „Ja“ mit einer großen Wirkung.
Möge die Cella diesen Raum ermöglichen und sich treu bleiben:
- ein Raum der Stille – wo sich ein Mensch Rück- binden kann an das Göttliche.
- ein Raum des Hörens – das, was die Menschen bewegt, innerlich und äußerlich - - wertschätzend anzunehmen.
- ein Raum der Anteilnahme – Ich bin nicht allein.
- ein Raum des Teilens - ein lebendiges Miteinander.
- ein Raum, der Fragen ermöglicht
- Vor allem auch einen Raum für das Schwere und Unerträgliche zu schaffen, was „heute“ die Herzen der Menschen bewegt?
Ich zitiere noch einmal Buber: "Der Mensch will im Sein des anderen eine Gegenwart haben.“ „Man findet Gott nicht, wenn man nur in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. "Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du geht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn.“ „Die Menschen reichen einander das Himmelsbrot des Selbstseins.“
Das Leben ist Beziehung – lasst uns Räume schaffen, wo wir einander begegnen und den Raum des Werdens einander ermöglichen.
Der Mensch als der Suchende unter dem Bogen des Himmels in der mir geschenkten Zeit. – Mögen wir bleiben.
„Werden wir nicht müde dem Leben die Hand behutsam und still hinzuhalten und auszustrecken wie einem Vogel.“ Hilde Domin
Die Zeichen am Weg:
Die wachen Momente - Augenblicke.
Zeiten des Innehaltens - Botschaften aus der Stille.
Hüte die Zeiten der Verbundenheit und Präsenz.
Spüre das eigene Herz - Höre deinen Puls des Lebens.
Pflege inspirierende Gespräche und Begegnungen.
Auch die Fragen leben.
Bewahre dir Mut und Offenheit. Hüte die Dankbarkeit.
Alles hat einen Sinn, auch wenn Du jetzt nicht alles verstehen kannst.
Welche Zeichen sind für mich bestimmt?
Welche Schritte werden meine sein?
Welche will ich hinterlassen?
Henryk Megier