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Manchmal möchte ich mir im Gottesdienst am liebsten die Ohren zuhalten. Weißt du, ich mache das natürlich nicht. Das wäre ja unhöflich. Aber innerlich? Innerlich bin ich kurz davor, die Geräuschkulisse einfach auszublenden. Und das liegt nicht daran, dass mich der Prediger nervt oder ich etwas höre, das mich ärgert. Nein, es ist die schiere Lautstärke. Es ist mir manchmal einfach zu laut, wirklich zu laut.

Gerade wenn bestimmte Lieder mit großer Innenbrunst gesungen werden – und ich muss dazu sagen, ich habe selbst durchaus eine kraftvolle Stimme, ich kann gut mitsingen und mitschwingen – dann kann es sein, dass es mir tatsächlich trotzdem zu laut wird. Und das ist dann der Punkt, an dem ich diese Art des Gesangs kaum noch ertrage. Es ist ein Gefühl, als würde mein Gehör überlastet, als würden die Schallwellen nicht nur auf mein Trommelfeld treffen, sondern direkt in mein Nervensystem hämmern.

Kennst du das, wenn eine eigentlich schöne Sache kippt und zur Qual wird? Genauso fühlt sich das an. Dieses Übermaß an Schwingung, an Energie, das ist zu viel. Es passiert auch schnell, wenn zum Beispiel ein Kanon gesungen wird. Klar, Kanones sind toll, sie sind gemeinschaftlich. Aber stell dir vor, mehrere Gruppen singen zeitversetzt und voller Energie. Die Stimmen überlagern sich, die Melodienlinien prallen aufeinander und das ergibt eine Intensität, die für mich zumindest zu viel ist.

Ich kann selbst mit starker Stimme singen, ja, und so auch eine Gruppe von Menschen, die zu uns in den Gottesdienst kommen, mittragen und unterstützen. Ich bin dazu kein Mensch, der generell leise ist. Aber wenn dann eben bestimmte Lieder gesungen werden und die Kirche richtig voll ist, bis auf den letzten Platz besetzt, dann wird es mir einfach zu viel. Es ist, als würde ein Schalter in meinem Kopf umgelegt und aus Wohlklang wird Lärm.

Die Antennen sind zu empfindlich eingestellt

Der Grund dafür? Das hat damit zu tun, dass ich hochsensibel bin. Hast du davon schon mal gehört? Das ist mehr als nur ein bisschen empfindlich sein. Es ist eine tiefgreifende Art, die Welt zu erleben. Das bedeutet, ich nehme sensorische Reize, alles, was ich sehe, höre, rieche, schmecke, fühle, besonders intensiv wahr, und zwar auf vielfältige Weise. Es ist, als hätte ich Antennen, die viel empfindlicher eingestellt sind, als bei den meisten anderen. Diese Antennen fangen einfach viel mehr Signale ein. Das ist der Kern der Sache.

Deshalb kann ich zum Beispiel auch keine Musik hören, wenn ich arbeite oder am Schreibtisch sitze. Überhaupt nicht. Das ist für viele unverständlich, oder? Ich weiß, andere singen und hören dabei Musik und die Zimmertür steht dabei sperrangelweit offen. Sie können sich konzentrieren, die Musik beflügelt sie vielleicht sogar. Für mich ist das unmöglich.

Mir wäre hingegen schon das Vor- und Vorbeigehen von Menschen draußen auf dem Flur zu viel. Jeder Schritt, jedes Tuscheln, jeder Geruch, der durch die Tür weht, das alles wird zu einem Störfaktor, der meine Konzentration sofort zunichte macht. Ich kann die Geräusche nicht ignorieren. Sie dringen mit voller Wucht in mein Bewusstsein ein. Deshalb muss meine Tür immer auch geschlossen sein und es darf fast nichts zu hören sein. Am besten absolute Stille. Das ist meine Überlebensstrategie am Arbeitsplatz.

Und das ist typisch für hochsensible Menschen. Sie nehmen parallele Sinnesreize, also mehrere Dinge gleichzeitig, sehr intensiv wahr. Das Gehirn scheint all diese Informationen nicht einfach filtern oder herunterregeln zu können. Stell dir vor, du hast 20 Tabs im Browser offen und alle spielen gleichzeitig Musik. So fühlt sich das dann oft an.

Sensorisches Chaos in der Stadt

Du kannst dir vorstellen, wie es mir manchmal geht, wenn ich in die Stadt gehe. Das ist für mich keine entspannte Shopping-Tour. Nein, es ist oft eine pure Reizüberflutung. Die vielen Gesichter, die Lichter, die hubenden Autos, die Sirenen, die Gerüche aus Imbissbuden, das Gedränge. Alles auf einmal. Es ist ein sensorisches Chaos, das meinen Akku in kürzester Zeit leersaugt. Ich muss mich dann stundenlang, manchmal tagelang erholen.

Lange Zeit wusste ich nicht, was mit mir los war. Ich dachte, das ging allen so. Das sei ganz normal. Ich dachte, jeder muss sich so zusammenreißen. Und bis zu einem gewissen Grad ist es das ja auch, nämlich für mich. Es ist meine Normalität, mein Modus operandi, sozusagen. Aber es ist eben nicht so, dass es allen so geht. Manche sind in der Stadt wie ein Fisch im Wasser. Sie saugen die Energie auf und fühlen sich belebt. Ich nicht. Ich bin der Fisch, der im seichten Wasser strandet und dringende Ruhe braucht. Mir tut es gut, in meinem Zimmer zu sein und zu bleiben.

Die Schönheit im Feinen: Die andere Seite der Medaille

Das ist die eine Seite der Medaille, die mich manchmal einschränkt und zur Abgrenzung zwingt. Aber es gibt auch die andere Seite, die ich mindestens genauso intensiv wahrnehme. Diese Hochsensibilität ermöglicht mir auch etwas. Und das ist das Schöne daran: Ich habe das Gefühl, das Feine und das Zarte in dieser Welt steht mir stärker zur Verfügung. Oder zumindest kann ich es besser verstehen oder mich ihm nähern, weil ich einen besonderen Zugang zur Stille und zum Leisen habe.

Weißt du, wenn die äußeren Geräusche wegfallen, wird die innere Welt lauter, aber auch die subtilen Töne der Welt mich herum. Ich kann, glaube ich, einen Baum besonders gut und intensiv spüren, berühren und wahrnehmen, oder eine andere Pflanze. Das ist eine tiefe, fast physische Verbundenheit. Ich sehe die feinen Adern in den Blättern, rieche den spezifischen Duft der Rinde, spüre die raue Textur unter meinen Fingerspitzen. Diese Details, die andere vielleicht übersehen, sind für mich riesengroß und bedeutungsvoll.

Ich brauche deshalb nicht viel, mich inspirieren zu lassen. Ich muss nicht unbedingt rausgehen. Es genügen wenige Dinge in meinem Zimmer: Ein besonderer Schattenwurf an der Wand, das Licht, das durchs Fenster fällt. Und schon kommt eine Inspirationswelle über mich. Diese Intensität der Wahrnehmung ist doch ein Geschenk, verstehst du?

Akzeptanz statt Kampf

Lange Zeit habe ich mit mir gehadert, auch mit dem sehr hochsensibel sein. Das war keine einfache Akzeptanz, sondern ein innerer Kampf. Gehadert in dem Sinne, dass ich es nicht glauben konnte. Warum sollte ausgerechnet ich hochsensibel sein? Das klang so nach einer Entschuldigung für Schwäche. Was würde das bedeuten? Müsste ich mein Leben komplett umstellen? Gibt es das überhaupt? Ist das wissenschaftlich nachgewiesen? Muss ich dafür einen Test machen bei einem Arzt oder einer Psychologin?

Diese Fragen haben mich lange beschäftigt. Heute bin ich ziemlich sicher, dass ich all das nicht brauche. Ich brauche keinen Arzt oder Psychologen, der mir sagt, wer oder wie ich bin. Das ist keine Frage der Wissenschaft, sondern eine Akzeptanz der eigenen Erfahrung. Ich weiß es, ich bin hochsensibel. Ich spüre es in jedem Moment, in jeder Faser meines Seins.

Und das lässt mich auch verstehen, warum meine Kindheit so war, wie sie war – zumindest zum Teil. Meine Eltern haben meine Einzigartigkeit nie erkannt, weil sie dafür keine Zeit hatten oder weil sie es einfach nicht wussten. Und weil ich anders war als meine Geschwister – ich war das Kind, das sich schnell zurückzog –, so musste ich auch einen ganz eigenen Weg gehen damit, damit irgendwie zurechtzukommen, mich in einer Welt zurechtzufinden, die so oft nicht auf meine Empfindlichkeit ausgelegt war.

Auf dem Bauernhof, wo ich aufwuchs, gibt es einerseits für Hochsensible viel zu entdecken: die Natur, die Tiere, die Stille. Und zugleich herrscht dort manchmal ein Ton, der auch für mich nicht immer gut zu ertragen war. Die Lautstärke der Maschinen, die Hektik, die manchmal raue Art der Kommunikation, ein ständiges Auf und Ab zwischen tiefer Verbundenheit und Überforderung.

Heute kann ich das besser einschätzen und ich erkenne den Wert der Hochsensibilität. Sie schränkt mich nicht nur ein – das tut sie auch, das habe ich dir erzählt –, sondern sie ermöglicht mir auch, tief zu spüren und wahrzunehmen. Sie erlaubt mir, einzutauchen in die Spiritualität der Welt, in das, was jenseits der Oberfläche liegt, ohne den Kontakt zur Erde zu verlieren.

Es ist eine Balance, eine Gradwanderung. Es geht immer darum, in dieser Welt noch klarer und noch liebender zu leben. Die Empfindlichkeit zu nutzen, die Welt nicht nur lauter, sondern auch schöner wahrzunehmen und gleichzeitig für mich selbst gut zu sorgen. Die Balance ist das A und O.

Ja, und jetzt wünsche ich dir eine ganz gute Woche und natürlich ganz viel Segen.

David Damberg


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